Asperger-Muster: Geduld statt Rücksicht


In einer Szene des Films «A Beautiful Mind» steht der Protagonist mit seiner Freundin in einer wolkenlosen Nacht auf einem Hügel. Die Freundin weist den Protagonisten auf ein gut sichtbares Sternbild hin. Dieser zeigt darauf der Freundin auf verschiedene Stellen des Sternenhimmels, wo diese Muster ebenfalls sichtbar ist.

Der Film «A Beautiful Mind» handelt von John Nash, dem genialen Mathematiker und Begründer der Spieltheorie. Der Film zeigt Nashs Leben und sein Leiden an der Schizophrenie. Doch Nashs Leben ist nicht nur durch diese Krankheit geprägt. In verschiedenen Szenen, vom Hauptdarsteller gut gespielt, wird deutlich, dass Nash auch eine Asperger-Person war. Diesen Befund bestätigen diverse wissenschaftliche Artikel.

Das Erkennen von Mustern ist eine typische Stärke von Asperger-Personen. Im Film verblüfft Nash mit dieser Fähigkeit nicht nur seine Freundin unter dem Sternenhimmel, sondern auch Kryptologen, wenn er in Zahlenreihen Muster erkennt.

Ein weiteres Merkmal von Asperger-Personen ist ihr eigentümliches Sozialverhalten. Ich würde dieses Sozialverhalten als «zurückgeblieben» bezeichnen. Ein 16-jähriger Jugendlicher mit Asperger verhält sich wie ein 12-jähriger. Das ist nicht unbedingt problematisch, aber doch seltsam. Es ist, als ob Asperger-Jugendliche eingeschränkt wären in ihrer Fähigkeit, soziales Verhalten zu erlernen.

Diese Hypothese widerspricht dem Befund, dass Asperger-Personen speziell gut darin sind, Muster zu erkennen. Sozialverhalten besteht aus Mustern, die man lesen und interpretieren muss, um das Gegenüber in der sozialen Interaktion verstehen zu können. Das ist analog zu Texten, die man versteht, indem man Buchstabenanordnungen liest und interpretiert. Warum sind Asperger-Personen behindert, wenn es um ihre Fähigkeit geht, die Muster in der sozialen Interaktion zu lesen?

Der Grund dürfte sein, dass die Muster in der sozialen Interaktion viel schwieriger zu kategorisieren sind. Ich kann erkennen, dass mir eine andere Person einen Blick zuwirft. Ist es aber ein freundlicher Blick, ein neugieriger, ein abtastender oder ein abschätziger Blick? Der Kontext macht einen grossen Unterschied: ist die andere Person ein Mann oder eine Frau, ist sie aus der gleichen oder einer anderen Generation? Möglicherweise sieht eine Asperger-Person viel zu viele Muster und verliert sich in ihren Kombinationen, währen eine normale Person nach kurzer Zeit zu einem Befund kommt und eine Reaktion zeigt. Ein Verhaltensmuster entwickelt sich aus den Reaktionen in den sozialen Interaktionen. Wenn Asperger-Personen nicht fähig sind, zu einem Schluss zu kommen, bleibt eine Reaktion aus. Das ist nicht gerade hilfreich. Oder sie fallen auf alte, kindliche Verhaltensmuster zurück, wenn sie sich gezwungen fühlen, eine Reaktion zu zeigen. Ein bisschen auffällig, ein wenig zurückgeblieben, nicht schrecklich, eher kindisch halt. In jedem Fall ist das kein Sozialverhalten, das dem betroffenen Jugendlichen hilft, weder in der Peergruppe noch bei den ersten Kontakten mit dem anderen Geschlecht.

Heute sind die Institutionen schnell bereit, einem Kind eine Asperger-Diagnose auszustellen. Doch nicht immer ist eine solche Diagnose hilfreich. Vor allem von besorgten Eltern wird eine Erklärung schnell als Entschuldigung eingesetzt: «Das Kind hat nichts dafür, es ist halt so». Und schnell kommt der Anspruch, dass man auf das Asperger-Kind oder den Asperger-Jugendlichen Rücksicht nehmen soll. Das ist keine gute Idee, zumindest nicht, wenn das Kind normal intelligent ist. Wenn Asperger-Personen Mühe haben, das Verhaltensmuster ihrer Gegenüber zu lesen, dann hilft Schonung nicht weiter. Im Gegenteil: Asperger-Personen müssen häufiger solchen Situationen ausgesetzt werden. Sie brauchen mehr Möglichkeiten, solche Muster zu lesen. Sie brauchen mehr Gelegenheiten, ihre Reaktionen zu entwickeln.

Asperger-Jugendliche müssen kritisiert werden, wenn sie ein Verhalten zeigen, welches nicht ihrem Alter entspricht. Sie müssen erfahren, dass nicht jedes Verhalten normal ist und dass gewisse Verhaltensweise eine Gruppe belasten. Dann werden sie auch erfahren, dass sie sich verbessern können und dass sich das lohnt, weil sie Dank solchen Verbesserungen besser in der Gruppe aufgehoben sind.

Ein Asperger-Jugendlicher braucht also Geduld, keine Rücksicht. Nur so kann er ein Sozialverhalten entwickeln, welches für das Funktionieren in der Gruppe notwendig ist.

Subkutan


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