Wertvoller Tausch

05. May 2011, liberal, aktion-hip, No Comments »

Am Schluss des Einkaufs fragt die Frau an der Kasse: “Möchten Sie die Quittung”. Ich nehme die Quittung in Empfang und damit ist der Kaufvorgang abgeschlossen. Alle temporären Ungleichgewichte sind aufgelöst, wir sind “quitt” und ich kann, befreit von jeglichen in diesem Tauschakt entstandenen Abhängigkeiten, das Lokal verlassen.

Der Tauschakt ist etwas Alltägliches, deshalb wird uns dessen Komplexität kaum noch bewusst. Die Wortbedeutung der verwendeten Begriffe deutet es an: Der Tauschakt ist eine soziale Interaktion, welche tief in unserer Kultur verankert ist.

Wie vielschichtig der Austausch tatsächlich ist, lässt sich gut am Beispiel einer Internet-basierten Tauschaktion darstellen. Ich bin auf der Suche nach einem spezifischen Produkt und finde im Internet ein passendes Angebot. Auf der Webseite kreuze ich das entsprechende Produkt an und teile die gewünschte Stückzahl mit. Mit dem Abschicken des Formulars habe ich mein Kaufinteresse postuliert und damit den Prozess eröffnet. In diesem Moment bin ich in gewissem Mass vom Anbieter abhängig geworden: Ich möchte das Produkt und bin darauf angewiesen, dass der Anbieter das Produkt wie versprochen liefern kann. Sobald der Anbieter mein Kaufinteresse wahrgenommen und den Versand des Produkts eingeleitet hat, kehrt sich die Abhängigkeit um: Nun hat der Anbieter in die anonyme Beziehung investiert und ist darauf angewiesen, dass ich mein Kaufinteresse aufrecht erhalte. Der Anbieter ist zum Verkäufer geworden. Seine Abhängigkeit akzentuiert sich in dem Moment, in welchem das Produkt bei mir eintrifft. Nun ist er abhängig davon, dass ich den Empfang des Produkts wahrheitsgemäss mitteile und dessen Bezahlung in den Weg leite. Indem ich die Überweisung einleite, wird die Abhängigkeit des Verkäufers schrittweise aufgelöst. Wenn meine Überweisung beim Verkäufer eintrifft, sind wir zwar materiell ausgeglichen, der Tauschakt ist aber noch nicht abgeschlossen. Erneut hat sich nun die Abhängigkeit gekehrt: Nun bin ich davon abhängig, dass der Verkäufer den Eingang der Zahlung mitteilt. Trifft diese Meldung nicht ein, muss ich gewärtigen, dass der Verkäufer noch einer Rechnung bei mir offen hat und eine entsprechende Forderung stellt. Ich benötige also eine Quittung, um diese Abhängigkeit aufgelöst zu sehen. Erst wenn ich diese Quittung erhalten habe, sind wir „quitt“, bin ich sicher davor, in Zukunft in irgendeiner Weise für diese Transaktion belangt werden zu können. Für den Verkäufer ist es nicht mehr notwendig, dass der Käufer den Erhalt der Quittung bestätigt. Für die Rechtsinstitution ist es ausreichend, dass der Verkäufer beweisen kann, dass er die Quittung verschickt hat. Dies kann z.B. mit einer Kopie der Quittung gewährleistet werden. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der Tauschakt ein Ende finden kann und das Versenden einer Bestätigung nicht durch die Bestätigung des Empfangs diese Bestätigung usw. (eine potentiell unendliche Schlaufe) belegt werden muss.

Tauschakte kosten

Der Tauschakt ist eine soziale Interaktion, auch in der modernen Zeit, wo Tauschakte über das Internet abgewickelt werden und sich die Tauschpartner anonym bleiben. Soziale Interaktionen haben es an sich, in irgendeiner Weise „klebrig“ zu sein. Sie bilden den Stoff, welcher die sozialen Gemeinschaften zusammenhält.

Im Tauschakt aber kommen solche klebrigen Interaktionen ungelegen. Jede unaufgelöste Interaktion hindert mich, eine neue Tauschbeziehung einzugehen. Die Anzahl der sozialen Beziehungen, welche ein Mensch unterhalten kann, ist beschränkt. Kann die soziale Beziehung in einem Tauschakt nicht aufgelöst werden, bleibe ich in solchen Beziehungen gefangen und bin gezwungen, Tauschgeschäfte mit Partnern abzuwickeln, welche die Produkte nicht in gewünschtem Mass oder in der erforderlichen Qualität liefern können.

Doch glücklicherweise ist dies nicht der Fall. Es ist eine grossartige Innovation der Moderne, dass der Tauschakt als soziale Interaktion in einem geordneten Prozess aufgelöst werden kann. Diese Innovation macht es mir möglich, massenhaft mit mir unbekannten Personen Tauschakte abwickeln zu können. Auf diese Weise wird mein Leben materiell reicher, ohne dass das soziale Leben leiden müsste.

Der Tauschakt ist die Grundlage für die arbeitsteilige Gesellschaft. Wenn wir nur das konsumieren könnten, was wir mit eigenen Händen erarbeiten, würden wir ein elendes, ein bitter armes Leben führen. Unser gesellschaftlicher Wohlstand gründet somit auf dem Tauschakt. Damit in einer Massengesellschaft Konsum für die Massen möglich wird, muss der Tauschakt, obwohl ein komplexer Prozess, wasserdicht institutionalisiert sein. Er muss auch bei massenhafter Ausübung effizient zu Ziel führen. Jeder Tauschakt, welcher statt in seiner Auflösung in einen Rechtshändel ausartet, vernichtet Wohlstand, statt dass er solchen erhöht.

Jeder Tauschakt, ob er gelingt oder misslingt, verursacht Kosten. Selbstverständlich müssen die Kosten, welche der Tauschakt beinhaltet, geringer sein als der Nutzen, welche der erfolgreiche Tausch den Tauschpartnern gewährt. Dieser Sachverhalt macht es möglich, dass sich Intermediäre in den Tauschprozess einschalten können. Solche Intermediäre versprechen, die Kosten des Tauschprozesses zu senken und lassen sich ihre Dienstleistung mit einem Anteil der Einsparungen vergüten. Auf diese Weise profitieren von einer solchen Dienstleistung alle beteiligten Parteien.

Es gibt aber auch Effekte, welche die Kosten des Tauschakts erhöhen. Dies geschieht beispielsweise, wenn die Institutionen, welche den Tauschakt stützen, geschwächt werden. Ist etwa das Vertrauen der Tauschpartner in die Rechtssicherheit oder die sozialen Normen geschwächt, so werden sie versuchen, zusätzliche Informationen über die andere Partei zu gewinnen. Dieser zusätzliche Aufwand ist zwangsläufig mit Suchkosten verbunden.

Auch Regulierungen des Tauschakts führen dazu, dessen Kosten zu erhöhen. Diese Regulierungen mögen im Einzelfall unbedeutend wirken, im Massengeschäft können sie zu massiven Belastungen führen. Trotzdem können solche Regulierungen ihre Berechtigung haben. Wenn eine Regulierung dazu führt, dass eine zuvor geschwächte Institution wieder gestärkt wird, wenn beispielsweise das Vertrauen in die Rechtssicherheit dank der Regulierung erhöht wird, so ist die Regulierung insgesamt vorteilhaft. Soll der Tauschakt einer zusätzlichen Regulierung unterworfen werden, so ist deshalb sorgfältig abzuwägen, welche Mängel damit eliminiert werden sollen.

Produktion und Zirkulation

Die marxistische Philosophie unterscheidet zwischen Produktions- und Zirkulations-Sphäre. Gemäss dieser Philosophie wird der gesellschaftliche Mehrwert in der Produktions-Sphäre, in der landwirtschaftlichen und industriellen Güterproduktion erzeugt. In der Zirkulations-Sphäre dagegen, so diese Auffassung, wird der vorhandene Wert nur noch verteilt. Entsprechend wird der Bereich des Austauschs und Vertriebs, wo sich Angebot und Nachfrage finden, gering geschätzt. Auch allen Dienstleistungen, welche die Austauschprozesse effizienter machen, wird kein eigenständiger Wert zugemessen. Dies entspricht durchaus dem Alltagsverständnis, welches den Produktionsprozess mit Arbeit, Schweiss und Mühsal assoziiert, an dessen Ende ein greifbares Gut steht. Im Austauschprozess dagegen werden die Werte verschoben, verschwinden bisweilen und tauchen wie durch Zauberhand an anderer Stelle wieder auf.

Wer über ein grundlegendes Verständnis der Marktwirtschaft verfügt, weiss, dass eine solche Ansicht der Realität nicht entspricht. Jedes produzierte Gut, das keinen Käufer findet, ist wertlos und landet im Abfall. Der Wert eines Guts ergibt sich im Tauschakt aus dem subjektiven Wert, den der Käufer dem gewünschten Gut zumisst. Damit in einer arbeitsteiligen Gesellschaft Wohlstand entsteht, braucht es deshalb Produktion und Austausch gleichermassen.

Aus dieser Einsicht über den Tauschakt ergibt sich automatisch das Verständnis, dass der Markt als Summe aller Tauschvorgänge das effizienteste Instrument ist, um die Tätigkeiten der Individuen in einer arbeitsteiligen Gesellschaft zu koordinieren. Es ist nicht eine zentrale Institution, welche mit Massstab und Stoppuhr misst, wie viele Güter produziert worden sind und wir reich demnach die Gesellschaft ist. Es ist die Aggregation der in unzähligen Tauschakten ermittelten Werte, welche den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand ergibt.

Der Umstand, dass die Wertschöpfung des Tauschakts weitgehend unbewusst und ungeschätzt bleibt, erhöht die Gefahr, dass mit unbedachten Eingriffen in den Tauschprozess dessen Effizienz unterminiert wird. Diese Gefahr ist umso grösser in dieser durch die Wirtschaftskrise geprägten Zeit, wo die Marktwirtschaft unter Generalverdacht steht. In dieser Zeit ist der Ruf nach Kontrolle und Regulation nahe. Doch jede Regulation von Tauschprozessen bringt nicht-intendierte Folgen mit sich, welche möglicherweise drastischen Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Wohlstand haben.

In einem über Jahrhunderte dauernden Prozess ist der Tauschakt derart tief in die menschliche Kultur verankert worden, dass seine Komplexität im Alltag kaum noch wahrgenommen wird. Es ist deshalb wichtig, dass wir uns des Werts des Tauschakts wieder bewusst werden, ebenso seiner Vielfalt, seiner Komplexität und seiner Abhängigkeiten. Erst wenn wir uns dieses Werts bewusst sind, können wir den Tauschakt als genuin menschliches Kulturgut in seiner Vitalität erhalten und weiter entwickeln.


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