Partei des urbanen Protests

18. August 2011, Experten, liberal, Politik, aktion-hip, No Comments »

Die grünliberale Partei (GLP) ist eine Protestpartei. Wer ihren Erfolg verstehen will, muss einen Blick auf die Veränderungen in der Schweizer Politlandschaft der letzten Jahre werfen. Der “Schweizer Monat” kümmert sich für gewöhnlich nicht um Parteienpolitik. Doch zum Verständnis der Phänomens GLP sei mir dieser Abstecher zugestanden.

Der Aufstieg der SVP um die Jahrtausendwende hat die Schweizer Politlandschaft umgepflügt. Davon profitierte die SP, indem sie sich als einzige Kraft präsentierte, die  der SVP Widerstand entgegensetzte. Indem man SP wählte, so das Versprechen, konnte man etwas gegen die SVP tun. So  holte die SP das Wählerpotential der urbanen Bevölkerung ab, die  sich als weltoffen verstand und tendenziell pro-EU eingestellt war. Die SP war sozusagen die urbane Wahl, während die FDP nach dem verheerenden Jahrzehnt der “Koalition der Vernunft” mit der SP hilflos zwischen SVP und SP lavierte und durch äussere Umstände wie zum Beispiel dem Swissair-Bankrott zusätzlich belastet wurde.

Vor etwa fünf Jahren änderte die Stimmung. Die SVP hatte sich als neue, bestimmende Kraft etabliert, und die ewigen Warnungen der SP vor der SVP hatten an Überzeugungskraft verloren. Die SP musste sich wieder vermehrt an ihren inhaltlichen Positionen messen lassen. Diese bestanden im Wesentlichen darin, dass sich die SP unverdrossen als Beschützerin der sozial Benachteiligten ausgab und für alle Probleme stets dieselbe Lösung bereithielt: mehr Staat. Dieses Eigenbild kontrastierte stark mit dem Fremdbild, welches die SP als Partei der Gutverdienenden darstellte. Die SP erschien als diejenige Partei, die an den Schalthebeln des Staats sass und von diesem profitierte.

Protestpartei

In dieser Situation brauchte es eine neue Partei, welche die Stimme der urbanen Protestwähler absorbieren konnte. Die grünliberale Partei besetzte als unverbrauchte Kraft diese Nische.

Der GLP kam zur Hilfe, dass sie keine neue Partei im eigentlichen Sinn ist. Als Abspaltung von den Grünen im Kanton Zürich entstanden, konnte sie auf funktionierende politische und soziale Netzwerke zurückgreifen. Das Gründungspersonal der GLP verfügte über politische Reputation. Deshalb  wurde die GLP von den Medien von Anfang an als seriöse Kraft wahrgenommen. Trotzdem konnte sie sich die GLP den Nimbus des Neuen umhängen. Damit wurde sie attraktiv für viele politisch interessierte Personen, die mit den etablierten Parteien unzufrieden waren.

Vor allem für gutausgebildete Personen eröffnete  die Gründung der GLP eine Gelegenheit, sich politisch zu engagieren. Solche Personen sind meist in einem erfolgreichen Berufsleben eingespannt und verfügen über viele Alternativen, ihre Freizeit zu gestalten. Damit sich diese Personen politisch engagieren, muss politisches Engagement als befriedigend empfunden werden. Dies ist der Fall, wenn mit dem Engagement etwas bewirkt werden kann.

In etablierten Parteien mit gefestigten Organisationsstrukturen sind alle Positionen besetzt. Einem Neumitglied verbleibt kein anderer Weg als sich von ganz unten die Parteihierarchie hochzudienen. Die politische Ochsentour von der Schulpflege bis zur obersten Listenposition für die Nationalratswahlen ist vor allem für gutausgebildete Personen, die konkrete Resultate für ihr Engagement erwarten, abschreckend. Die GLP bot als neue Partei viel effizientere Perspektiven an. Hier bedeutete schon die Mithilfe beim Aufbau der Parteistrukturen eine politische Wirkung. Darüber hinaus boten die schnellen politischen Erfolge bei den Wahlen das Versprechen auf eine steile politische Karriereleiter. Damit wurde ein sich selbst verstärkender Prozess in Gang gesetzt: Die gutausgebildeten Personen stiessen in grosser Zahl zur Partei, engagierten sich stark und stellten sich für Wahlen zur Verfügung. Der hohe Akademikeranteil auf den Wahllisten signalisierte der Bevölkerung, dass es sich bei der GLP um eine zwar unverbrauchte, aber dennoch seriöse Kraft handelt. Mit dem Einlegen der GLP-Liste konnte ein wahrnehmbares Zeichen gegen den etablierten Politikbetrieb gesetzt werden. Die Wahlerfolge an der Urne führten der GLP in der Folge weitere neue, meist gutausgebildete Mitglieder zu. Wahlerfolge und Mitgliederwachstum gingen so Hand in Hand.

Expertenpartei

Der überdurchschnittlich hohe Akademikeranteil macht die GLP zu einer Expertenpartei. Dies hat nicht nur positive Konsequenzen. Beruflich erfolgreiche Akademiker sind meist Experten. Experten tendieren dazu, ihre eigenen Kompetenzen und diejenige ihrer Kollegen zu überschätzen. Sie neigen gleichzeitig dazu, die Kompetenzen der Bevölkerung oder der anonymen Masse zu unterschätzen. Diese Haltung macht sich in der Positionierung der GLP bezüglich Umweltfragen deutlich bemerkbar.

Die GLP gibt sich staatskritisch und tritt folgerichtig auf die Bremse, wenn es beispielsweise um die Finanzen der öffentlichen Hand geht. Bei Umweltfragen beschränkt sich die GLP allerdings nicht auf Ordnungspolitik, sondern vertritt einen dezidiert interventionistischen Ansatz. Da wird plötzlich nach einem eingreifenden Staat gerufen, der Alternativen fördern und Innovationen stärken soll. Bei der CO2-Abgabe beispielsweise wird deren Teilzweckbildung befürwortet, was aus einer ursprünglich staatsquotenneutralen Abgabe eine neue Steuer macht.

Hier betreibt die GLP – wie alle anderen Parteien –  Interessenpolitik. Experten lieben es, neue Subventionsquellen zu erschliessen und in gut dotierten Expertengruppen Einsitz zu nehmen. Das liegt in der Natur der Sache. Aber es widerspricht einer liberalen Ausrichtung. Denn es geht  nicht mehr darum, die Macht zu kontrollieren, sondern die Macht zu erobern.

Demokratiedefizit

Dieser Eindruck der GLP als Expertenpartei bestätigt sich, wenn wir die parteiinternen Machtstrukturen und Auswahlprozesse untersuchen.

Die GLP hat ein eindeutiges Machtzentrum, und dieses heisst Martin Bäumle. Die ganze Organisationsstruktur ist auf den Parteipräsidenten ausgerichtet. Die Rolle, die Bäumle für die GLP spielt, ist möglicherweise noch wichtiger als die Rolle Blochers in der SVP.

Bäumles Einfluss beruht auf der Hausmacht, welche er mit der Zürcher Kantonalpartei aufgebaut hat. Auch wenn Bäumle in der Zwischenzeit die Führung auf nationaler Ebene übernommen und die Leitung der Kantonalpartei an ein junges Co-Präsidium abgegeben hat, zieht er nach wie vor die Fäden in der Kantonalpartei und sein Einfluss reicht bis in die Bezirke.

Das Machtgefüge der GLP beruht darauf, dass der Eintritt in den inneren Machtzirkel der Partei streng kontrolliert wird. Die parteiinternen Auswahlprozesse sorgen dafür, dass diese Kontrolle aufrechterhalten wird. Merkmal dieser Prozesse ist ein eklatantes Demokratie-Defizit innerhalb der GLP.

Gemäss Statuten ist die GLP ein Verein, und die Mitglieder der Parteiorgane werden in offener Wahl gewählt. Wahl bedeutet Auswahl. Tatsache ist allerdings, dass den Parteiversammlungen in den seltensten Fällen eine echte Auswahl angeboten wird und in der Regel keine Kampfwahlen stattfinden. Es ist die Geschäftsleitung, die der Parteiversammlung die Kandidaten zur Wahl präsentiert, und es werden exakt so viele Kandidaten aufgestellt, wie Plätze zu vergeben sind. Offensichtlich findet die Geschäftsleitung die Kompetenz, die richtige Wahl zu treffen, bei sich besser aufgehoben als bei der Parteiversammlung.

Dieses Misstrauen gegenüber der Parteiversammlung kommt gar in den Statuten zum Ausdruck. In den meisten Parteien in der Schweiz sind es die kantonalen Mitgliederversammlungen, die ihre Vertreter für die Delegiertenversammlung auf nationalere Ebene wählt. Nicht so in der GLP des Kantons Zürich. Hier ist es (gemäss den im November 2008 revidierten Statuten) der Vorstand, welche diese Delegierten wählt.

Ist innerparteiliche Demokratie überhaupt wichtig? Das Beispiel der GLP zeigt, dass eine Partei auch ohne solche Prozesse Erfolg haben kann. Allerdings ist Demokratie auch innerhalb von Parteien kein Selbstzweck. Demokratische Auswahlprozesse innerhalb einer Partei führen dazu, dass die Parteikader ständig herausgefordert werden. Offene und transparente Strukturen zwingen die Amtsinhaber, Stellung zu beziehen und Rechenschaft abzulegen, kurz: sie müssen ihre Position über Leistungen legitimieren. Viel bequemer ist es, wenn sich die Parteikader zu einem Machtkartell zusammenschliessen. Auf diese Weise können sie die parteiinterne Kommunikation manipulieren und die Spielregeln (z.B. die Sitzungsordnung oder die Traktandenliste) zu ihren Gunsten verändern. So können sie allfällige Herausforderer aussen vor halten.

Die längerfristigen Kosten starrer Strukturen sind indes nicht zu unterschätzen. Werden die internen Auswahlprozesse manipuliert oder blockiert, so führt dies zu Erstarrung und Verknöcherung der Partei. So mühsam dies für die Parteikader ist, interne demokratische Prozesse bringen Dynamik in die Partei. In einer demokratisch institutionalisierten Partei können sich neues Personal und neue Inhalte viel schneller etablieren als in Parteien, welche solche Prozesse erschweren oder unterbinden.

Die GLP bezeichnet sich als liberale Partei. Doch ist ihre Haltung zum Liberalismus widersprüchlich: einerseits gibt sich die GLP bürgernah und staatskritisch, andererseits wird Expertenwissen gepflegt und innerparteiliche Demokratie behindert. Solange sich die GLP in der Wachstumsphase befindet, können solche Widersprüche überdeckt werden. Wenn sich der momentan ausgeprägte Schwung abschwächt, könnten diese inhärenten Widersprüche die Partei schneller als erwartet in einer Krise stürzen.

Benno Luthiger
ursprünglich erschienen in “Schweizer Monat”, 988, Juli 2011


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