Linke Krisenromantik und Probleme der Demokratie

07. June 2012, Krise, Politik, aktion-hip, No Comments »

Den nachfolgenden Artikel habe ich am 27.5.2012 der P.S.-Redaktion geschickt. Die Redaktion der “linken Zürcher Zeitung” scheint allerdings kein Interesse an einer kritischen Auseinandersetzung zu haben. Der Artikel wurde nicht publiziert.

Jetzt stehen sie wieder in den Startlöchern, die linken Krisenromantiker, und fabulieren von „interessanten“ Zeiten, denen wir entgegengingen. Mit Verlaub, die Tausende von meist jungen Arbeitslosen in Spanien, Italien und Griechenland werden weder ihre Situation noch ihre Perspektiven als „interessant“, sondern scheuklappenfrei als verschissen bezeichnen.

Aber gegen solche Krisenromantik ist kein Kraut gewachsen, wie der Rückblick auf die Finanzmarktkrise 2008, die Krise nach dem Platzen der Internet-Blase 2001 oder allen früheren Krisen zeigt. Jedes Mal die immergleiche Vorfreude, dass es nun offensichtlich werde, dass der Kapitalismus nun am Ende und die Zeit reif sei für einen grundsätzlichen Umbau der Gesellschaft. Wie hirnverbrannt muss man eigentlich sein, wenn man nicht in der Lage ist, aus Fehlprognosen zu lernen, die nicht einmal fünf Jahre zurückliegen? Im Gegensatz zu früher haben die Krisenromantiker heute die Gelegenheit, sich über die Krise zu freuen, bevor sie uns erreicht. Mit ihrem argumentativ schwachen Unterbau laufen sie allerdings Gefahr, ihr Pulver schon verschossen zu haben, wenn es dann so weit ist.

Demokratie und Nachhaltigkeit

Dabei gäbe die aktuelle Krise Anlass, einige Fragen zu behandeln, welche auch für linke Kreise bedeutsam sind. Eine dieser Frage ist beispielsweise: Wie kann man in einer Demokratie die Politik so gestalten, dass die aktuelle Generation nicht über ihre Verhältnisse lebt und die Kosten ihrer Lebensweise auf jene überträgt, welche (noch) keine Stimme haben?

Diese Frage zielt mitten in die aktuelle Schuldenproblematik: Schulden machen es möglich, Nutzung und Finanzierung eines Guts zeitlich zu entkoppeln. Unter den Konkurrenzbedingungen einer demokratischen Ordnung wählt die Bevölkerung jene Option, welche den grössten Nutzen zu den geringsten Kosten verspricht. Unter solchen Bedingungen liegt es nahe, dass verantwortungslose Politiker ihre Wiederwahlchancen optimieren, indem sie mit Programmen auftreten, welche der Bevölkerung das Blaue vom Himmel versprechen und die Finanzierung der zukünftigen Generation aufhalsen. Mit der Möglichkeit, Schulden zu machen, haben die Politiker das notwendige Instrument zur Hand, eine solche Wunschpolitik umzusetzen. Die Folgen dieser Politik dürfen die jungen Menschen in den Krisenstaaten nun ausbaden.

In der Schweiz haben wir diese Frage, zumindest was den finanziellen Bereich betrifft, vor rund 10 Jahren mit der Einführung der Schuldenbremse beantwortet. Die 2001 beschlossene und 2003 eingeführte Schuldenbremse zwingt die öffentliche Hand, die Schulden über einen Konjunkturzyklus hinweg konstant zu halten. Ob ein Anstieg der Schulden über die Ausgaben- oder die Einnahmeseite korrigiert wird, ist den Politikern und schlussendlich der Stimmbevölkerung überlassen. In jedem Fall folgen auf Schulden die zu deren Tilgung notwendigen Kosten. Diese einfachen Spielregeln der Schuldenbremse führen zu einem Mechanismus, welcher von alle beteiligten Parteien verstanden wird. Die Schuldenbremse erzwingt, dass Nutzen und Kosten zeitlich enggeführt werden. Die Nutzniesser einer Politik, welche durch Schulden finanziert wird, werden eher früher als später die Kosten dieser Politik tragen müssen und können sich nicht wie Zechpreller aus der finanziellen Verantwortung stehlen. Die Schuldenbremse entspricht somit einem Verständnis von Politik, welches wir als verantwortungsvoll verstehen.

Es ist kein Zufall, dass heute in vielen europäischen Ländern die Einführung von Schuldenbremsen beschlossen oder geplant ist. Wir Schweizer können stolz sein, dass wir mit unseren langsamen direktdemokratischen Prozessen allen anderen Länder mehr als 10 Jahre voraus waren. Wir Linke können das allerdings nicht: SP, Grüne und Gewerkschaften lehnten die Schuldenbremse ab, und auch heute noch kommt die heftigste Kritik an der Schuldenbremse aus rot-grünen Kreisen.

Dabei ist die Frage, welches Gewicht die Stimme der zukünftigen Generation im demokratischen Aushandlungsprozess hat, linken Kreisen nicht fremd. Diese Frage wurde schon einmal diskutiert, allerdings in einem ökologischen Kontext im Rahmen von Nachhaltigkeitsüberlegungen. Die gesetzliche Verankerung der Umweltverträglichkeitsprüfung und die Einführung des Verbandsbeschwerderechts waren ein Resultat dieser Diskussionen. Es mutet deshalb seltsam geschichtsblind an, wenn die Linke nicht in der Lage ist, die einigermassen erfolgreich geführte Nachhaltigkeitsdiskussion aus dem ökologischen Bereich in den ökonomischen Bereich zu übertragen.

Realitätsverweigerung

Damit komme ich zu einem letzten Punkt, der auf den ersten Blick nichts mit dem aufgezeigten Demokratie-Problem zu tun hat. Dem P.S. geht es wieder einmal so schlecht, dass es eine Spendenaktion starten muss, um finanziell über die Runden zu kommen. Eine Zeitung, welche sich nicht tragen kann, hat entweder zu wenig zahlende Leser oder zu wenig Werbung. Ich kann mir vorstellen, dass das P.S. an beiden Mängeln leidet. Eine Auflage von 8000 Exemplaren ist aber mit Bestimmtheit eine zu kleine Leserschaft.

Warum gelingt es dem P.S. nicht, sich zu einer politischen Forumszeitschrift zu entwickeln und weitere Kreise anzusprechen? Meine Einschätzung ist: Das P.S. ist zum grössten Teil langweilig, weil es nicht mit seiner Leserschaft diskutiert. Die im P.S. publizierten Beiträge sind häufig stromlinienförmig, sie sind auf den billigen Applaus der eigenen Leserschaft ausgerichtet. Eine Auseinandersetzung findet kaum statt, es überwiegt das politische Lagerdenken. Mit einer solchen Ausrichtung ist die Lektüre des P.S.‘ für politisch Andersdenkende keine Gewinn, sondern einer reine Zeitverschwendung. Einzig Koni Löpfes Beiträge ragen mit eigenwilligen und unorthodoxen Überlegungen aus dem braven Einheitsbrei. Für eine politische Zeitschrift ist das viel zu wenig.

Dazu kommt, dass das P.S. einen Drang hat, sich selbst überflüssig zu machen. Die politische Ordnung demokratischer Gesellschaften basiert auf checks and balance, welche beispielsweise durch die institutionelle Gewaltentrennung sichergestellt wird. Für die Kontrolle der Staatsmacht reicht dies in der Regel nicht aus. Weitere kontrollierende Faktoren sind notwendig, z.B. Medien, welche als 4. Gewalt fungieren und dem Staat und den Mächtigen auf die Finger schauen. In dieser Beziehung ist das P.S. erschreckend harmlos. Mit der in den Zeilen des P.S.‘ verbreiteten Staatsgläubigkeit ist das P.S. etwa ähnlich kritisch wie die Tierwelt oder die Landliebe. Wenn das P.S. im medialen Alltag seine Existenzberechtigung als politische Zeitschrift verspielt, muss es sich nicht wundern, wenn es in regelmässigen Intervallen auf Betteltour gehen muss, um sein finanzielles Überleben zu sichern.

Was hat nun die Schuldenkrise vor unseren Türen mit den finanziellen Problemen des P.S.‘ zu tun? Ich sehe in beiden Fällen eine erschreckende Realitätsverweigerung, welche das Denken vieler Linken beherrscht. Im linken Diskurs wird die Schuldenkrise beharrlich als Bankenkrise schöngeredet. Natürlich ist es hart, wenn man eingestehen muss, dass man mit der Ablehnung der Schuldenbremse falsch lag, vor allem, wenn dies impliziert, dass die Kassen der öffentlichen Hand und damit die Möglichkeiten aktivistischer Politik in Zukunft kurzgehalten werden. Aber ist es wirklich so schwierig, die Nachhaltigkeitsüberlegungen, welche wir erfolgreich für den ökologischen Bereich entwickelt haben, auf den Staatshaushalt zu übertragen? Es ist genau diese Realitätsverweigerung, welche im P.S. Ausdruck findet und dieses Blatt so uninteressant und nutzlos machen, dass die Leserschaft nicht bereit ist, einen kostendeckenden Preis für die P.S.-Lektüre zu zahlen.



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