Mehr Markt in der Flüchtlingsproblematik?

29. August 2016, Politik, Wettbewerb, aktion-hip, No Comments »

Der Zustrom von Flüchtlingen, sei es aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen, hat sich im Verlauf der vergangenen Jahre zu einem Problem mit ungeahnten Auswirkungen entwickelt. Zwei Beispiele: Merkels beherztes Engagement hat ihrer Popularität in einem Ausmass geschadet, welche ihre Wiederwahl gefährden könnte. Die einseitige Wiedereinführung von Grenzkontrollen durch mehrere EU-Staaten stellt eine zentrale Errungenschaft der EU in Frage, die Personenfreizügigkeit. Diese Beispiele zeigen: Mit der Flüchtlingsproblematik sind die Politiker heillos überfordert.

Wenn wir das Wirkungsfeld der Politiker betrachten, dann erstaunt uns dieser Befund nicht. Die Politiker müssen kurzfristige und langfristige Ziele verfolgen, sie müssen regionale und staatliche Interessen vertreten sowie wirtschaftlich adäquat wie auch sozial gerecht handeln. Und nicht zuletzt spielen auch ihre eigenen Interessen eine Rolle. Die Politiker haben schlicht zu viel Spielraum, es stehen ihnen zu viele Entscheidungsmöglichkeiten zu Verfügung. Gleichzeitig sind die Auswirkungen von politischen Entscheidungen zu vielfältig, als dass die Politiker deren Folgen noch abschätzen könnten. In der Flüchtlingsproblematik kommt eine Komplexität zum Ausdruck, welche mit den heute möglichen politischen Instrumenten nicht unter Kontrolle gebracht werden kann.

Gibt es liberale Ansätze, mit welcher die Komplexität der Flüchtlingsproblematik reduziert werden könnte?

Markt für Flüchtlingskontingente

Wir gehen nicht davon aus, dass Flüchtlinge grundsätzliche abgelehnt werden. Im Gegenteil, der grösste Teil der Bevölkerung nimmt Anteil am Schicksal der Flüchtlinge. Die Tatsache, dass den Flüchtlingen geholfen werden muss, ist unbestritten. Dieses Gefühl der Anteilnahme schlägt erst dann in Ablehnung um, wenn die Flüchtlinge im näheren gesellschaftlichen Umfeld erscheinen. Nun müssen die Flüchtlinge in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben der ansässigen Bevölkerung integriert werden. Zudem erscheinen die Flüchtlinge, je nach gesellschaftlicher Position der betroffenen Bevölkerung, als Konkurrenten für knappe Ressourcen. Dies kann beispielsweise auf dem Markt für billige Wohnungen, auf dem Arbeitsmarkt für gering qualifizierte Personen oder im Bereich sozialer Unterstützung geschehen. Die Flüchtlinge bekommen nun ein Gesicht, nicht nur als Individuen, sondern auch als Kostenverursacher.

Es ist ein Gebot der Fairness, Kosten gerecht zu verteilen. Im Falle der Flüchtlinge könnte das beispielsweise heissen, die Flüchtlinge proportional zur Bevölkerungsstärke auf alle Kommunen zu verteilen. Zu einem solchen Vorschlag fallen zwei Einwände ein: Erstens ist eine gleiche oder gleichmässige Aufteilung nicht zwangsläufig gerecht. Zweitens verursachen Flüchtlinge nicht überall die gleichen Kosten. Mit anderen Worten: was von den Einen als gerecht postuliert wird, muss nicht auch von anderen als gerecht empfunden werden.

Statt von oben herab eine Verteilung durchzusetzen, wäre es deshalb angebracht, die Bevölkerung in diesen Prozess einzubeziehen. Auf welche Weise könnte dies geschehen?

Ein intelligenter Vorschlag wäre, zu diesem Zweck einen Markt für den Handel von Flüchtlingskontingenten einzurichten. Ausgangspunkt wäre eine proportionale Verteilung von Kontingenten (z.B. 50 Flüchtlinge) auf alle Kommunen. In der Folge wäre es den Gemeinden allerdings erlaubt, ihre Flüchtlingskontingente zu versteigern. Auf einem entsprechend eingerichteten Marktplatz würden sich Gemeinden mit unterschiedlicher Bereitschaft, Flüchtlinge bei sich aufzunehmen, treffen. Schnell würde sich ein Preis für handelbare Flüchtlingskontingente etablieren. Auf einer solchen Basis wäre es den verantwortlichen Personen in den Gemeinden möglich zu entscheiden, ob sie mehr oder weniger Flüchtlinge aufnehmen wollen. Gemeinden mit einer grossen Abneigung gegenüber Flüchtlingen hätten eine grosse Zahlungsbereitschaft, um ihre Kontingente an andere Gemeinden zu verkaufen. Umgekehrt hätten weniger Flüchtlings-averse Gemeinden einen unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen, wenn sie sich bereit erklären, zusätzliche Flüchtlinge aufzunehmen.

Selbstverständlich müsste sichergestellt werden, dass die Kosten, welche eine Aufnahme von Flüchtlingen mit sich bringt, nicht zu Lasten der Flüchtlinge gesenkt werden können. Ein gewisser Standard der Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen darf nicht unterschritten werden. Beispielsweise müsste die Fläche der Unterkunft pro Person oder Sprachkurse für alle Personen sowie einen Schulplatz für die Flüchtlingskinder gesichert sein. Ein Standard mit prüfbaren Kriterien müsste definiert werden als Voraussetzung für einen Markt für Flüchtlingskontingente. Mit welchen Mitteln ein solcher Standard umgesetzt wird, wäre in der Folge den Gemeinden überlassen.

Ein solcher Markt für Flüchtlingskontingente hätte mehrere Nutzen. Erstens sind die betroffenen Personen eher bereit, Kosten zu tragen, wenn sie den Prozess, welcher diese Kosten zur Folge hat, als nachvollziehbar und fair erachten. Zweitens hätte die betroffene Bevölkerung auf Gemeindeebene, also auf der niedrigsten politischen Ebene, die Möglichkeit, auf die Verteilung der Flüchtlinge Einfluss zu nehmen. Damit würde das Flüchtlingsproblem zwar nicht gelöst. Hingegen wäre ein ernsthafter Beitrag geleistet, die Diskussion zu versachlichen.

Flüchtlingsströme sind Externalitäten

In einer Welt, in welcher die wirtschaftlichen Möglichkeiten vorhanden sind, allen Menschen ein würdiges Leben zu ermöglichen, sind Flüchtlingsströme ein Anachronismus. Flüchtlinge sind kein Naturgesetz, sie werden verursacht. Ursache sind Regierungen, welche unverantwortlich handeln, welche Krieg gegen die eigene Bevölkerung führen und die Interessen der herrschenden Minderheit auf Kosten der Mehrheit durchsetzen. Flüchtlingsströme sind eine Abstimmung mit den Füssen in Ländern, die eine Abstimmung mit zivilisierten Mitteln nicht zulassen.

Flüchtlinge reagieren auf Missstände in den Quellländern und verursachen Kosten in den Zielländern. In der Sprach der Ökonomie stelle Flüchtlingsströme externe Effekte dar. Immer, wenn in der Ökonomie von Externalitäten die Rede ist, regt sich der Verdacht, dass der Verursacher eine gewisse Handlung zu leichtfertig durchführt, weil er die Folgen dieser Handlung nicht (oder nicht vollständig) schultern muss. Wenn von externen Effekten die Rede ist, haben Ökonomen sofort ein Lösungsmittel zur Hand, um einen solchen Missstand zu korrigieren: man muss die Kosten internalisieren.

Können solche Überlegungen auch im Falle der Flüchtlingsproblematik angebracht werden?

Der Gedanke erscheint im Rahmen von Konflikten mit internationalen Dimensionen ungewöhnlich. Allerdings gibt es Beispiele in einem ähnlich gelagerten Umfeld, welche solche Überlegungen nicht ganz abwegig erscheinen lassen. Zu erinnern ist an Reparationszahlungen, welche in den letzten beiden Jahrhunderten Staaten auferlegt wurden, welche einen Krieg verursacht (und verloren) hatten. Mit Reparationszahlungen sollten die wirtschaftlichen Schäden, welche ein Kriegsverursacher angerichtet hatte, repariert werden.

Historisch gibt es also Präzedenzfälle, die zeigen, dass es möglich ist, Kosten auch im internationalen Massstab umzuverteilen. Bei der Internalisierung externer Kosten am Beispiel von Flüchtlingsströmen ginge es allerdings nicht darum, die Kosten im Zielland auszugleichen. Stattdessen wird der Fokus auf die Quelle der Flüchtlingsströme gerichtet. Die Verursacher von Flüchtlingsströmen müssten einen Preis dafür zahlen. Auf diese Weise sollten sie einen Anreiz haben, weniger Flüchtlinge zu „produzieren“.

Heute ist es oft so, dass ein wenig entwickeltes Land von seinen Flüchtlingen, von der Auswanderung seiner Bevölkerung profitiert. Beispielsweise schicken Flüchtlingen einen Teil ihrer Einkünfte als Rimessen an ihre Angehörige in den Herkunftsländern. Auf diese Weise stärken die Flüchtlinge die Wirtschaft ihres Heimatlands. Allerdings stellen Flüchtlinge auch eine Abwanderung von Arbeitskräften, einen Brain Drain dar, was sich negativ auf die Wirtschaft auswirken kann.

Dennoch dürften die jeweiligen Machthaber die Flucht ihrer Bevölkerung, wenn sie sich dazu überhaupt Gedanken machen, eher positiv einschätzen. Mit einer Internalisierung der externen Kosten, welche durch Flüchtlinge ausgelöst werden, könnte eine solche Einschätzung umgekehrt werden. Plötzlich hätten die Regierungen in diesen Ländern einen Anreiz, die Flucht ihrer Bevölkerung, sei es aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen, einzuschränken.

Bei solchen Überlegungen stellen sich verschiedene Fragen. Erstens bräuchte es zur Internalisierung der externen Kosten, welche durch Flüchtlinge verursacht werden, eine übergeordnete Organisation. Diese müsste in der Lage sein, Massnahmen durchzusetzen, welche in den Ursprungsländern von Flüchtlingsströmen zu einer Änderung des Kostenkalküls führten. Ob die UNO dazu in der Lage ist, erscheint fraglich. Zweitens müsste die Internalisierung in den Herkunftsländern auf eine Art erfolgen, dass die Regierungen dieser Länder zu einer Änderung ihrer Politik gezwungen werden. Wenn diese Kosten einfach der Bevölkerung aufgebürdet werden könnte, wäre wenig gewonnen.

Das Interessante an solchen Überlegungen ist, dass sie den Blickwinkel verändern. Die Flüchtlinge werden nicht mehr ausschliesslich als Problem in den Zielländer betrachtet. In einer derart reduzierten Betrachtungsweise sind nur Lösungsvorschläge möglich, welche zum grossen Teil auf Abschreckung und Abgrenzung basieren. Stattdessen gerät die Situation in den Ursprungsländern in das Blickfeld und damit die Verantwortung der dortigen Regierungen. Nur aus einer ganzheitlichen Sichtweise können nachhaltige Lösungen entstehen.


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