Die Ukraine nicht im Stich lassen

05. May 2023, linke Mythen, Ukraine, aktion-hip, No Comments »

Entgegnung zu Kurt Seiferts Replik auf C. Wermuths Artikel «Der Krieg und die Linke» (p.s. vom 7.April 2023)

Wenn zwei Kinder auf dem Pausenplatz balgen, ist es allenfalls angebracht, sie zu Verhandlungen aufzufordern. Wenn ein 22-Jähriger einen 12-Jährigen niederschlägt und das am Boden liegende Kind weiter mit Fusstritten traktiert, erscheint eine Aufforderung zu Verhandlungen wenig adäquat. Was genau soll das 12 jährige Opfer verhandeln? Wie lange es vom Agressor noch gequält werden darf? Dass die Fusstritte nur noch gegen den Bauch und nicht mehr gegen den Kopf gezielt werden sollen? In einer solchen Situation sind nicht Verhandlungen angebracht, sondern ein Eingreifen, welches den Agressor daran hindert, weiterhin Gewalt auszuüben, und gleichzeitig das Opfer schützt.

Beim Krieg in der Ukraine hat sich inzwischen auch bei der Linken die Erkenntnis durchgesetzt, dass Russland der Agressor und die Ukraine das Opfer ist. Trotzdem, so Kurt Seifert in seiner Replik (P.S. vom 31.3.2023), wäre es falsch, in dieser Situation an der Seite der Ukraine zu stehen. Stattdessen gehe es darum, sich Gedanken über das Ende der imperialen Ordnung zu machen.

Mit Verlaub, das ist verlogen. Ein Agressor muss zuallererst davon abgehalten werden, dass Opfer weiter zu misshandeln. Das ist schlicht ein Gebot der Menschlichkeit.

Weil die westlichen Staaten, aus einigermassen nachvollziehbaren Gründen, nicht direkt in den Krieg eingreifen wollen, zielen deren Handlungen einerseits darauf ab, Russlands Möglichkeiten der Kriegsführung in der Ukraine zu behindern (mit Sanktionen etc.), andererseits darauf, die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine mit Waffenlieferungen zu verbessern.

Verlogen ist ein Aufruf zu Verhandlungen in einer solchen Situation, weil man auf diese Weise zu erkennen gibt, dass man die Benennung Russlands als Agressor nicht ernst nimmt und entsprechend handelt. Man bezeichnet Russland nur deshalb als Agressor, weil dies konform ist.

Seiferts Replik ist kein Beitrag für den Frieden, sondern ein Aufruf zum Wegschauen mit der Folge, dass die Verbrechen der russischen Armee ignoriert werden und die Ukraine im Stich gelassen wird.

Diese Replik wurde in der p.s.-Ausgabe vom 14. April 2023 veröffentlicht.


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