Leistungsbeurteilung und taktisches Verhalten

06. February 2011, Experten, aktion-hip, No Comments »

Die UBS hat ein neues Qualifikationssystem gemäss dem „Forced Ranking“-Prinzip eingeführt. Die UBS erwartet dadurch mehr Objektivität. Eingetreten ist das Gegenteil.

Die Idee leitet ursprünglich von der Prinzipal-Agent-Theorie einerseits und von Peter Druckers Überlegungen zu „Führung durch Leistungsvorgaben“ (MbO, Management by Objectivs) andererseits ab. Kernpunkt der Problematik, welches durch solche Ansätze gelöst werden soll, ist der Umstand, dass die Mitarbeiter bei ihrer Arbeit eigene Interessen verfolgen, die nicht zwangsläufig den Unternehmens-Interessen entsprechen. Um die Mitarbeiter-Interessen auf die Unternehmens-Interesse auszurichten, gilt es, so die Theorie, die Mitarbeiter am Unternehmens-Erfolg partizipieren zu lassen. Ein solcher Bonus wird aber nicht gleichmässig allen Mitarbeitern zugeteilt, da ja möglicherweise nicht alle Mitarbeiter im gleichen Mass zum Unternehmenserfolg beigetragen haben. Statt dessen sollen speziell gute Leistungen gefördert und schlechte Leistung bestraft werden.

Zu diesem Zweck vereinbart der Vorgesetzte mit dem Mitarbeiter am Anfang einer Periode Leistungsziele und schaut am Schluss der Periode, wie gut diese Ziele erreicht worden sind. Aus solchen Leistungseinschätzungen wird in der Folge der variable Lohnanteil abgeleitet und dem Mitarbeiter ausbezahlt. Wird von der Spitze des Unternehmens aus eine Hierarchie von Leistungszielen erarbeitet, so werden die Mitarbeiter durch Lohnanreize, welche konsistent auf diese Leistungsziele ausgerichtet sind, auf zwangslose Weise dazu gebracht, im Sinne des Unternehmens zu arbeiten. Ein solches Konzept wirkt überzeugend, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Mitarbeiter ausschliesslich extrinsisch motiviert sind und die Leistungsvorgaben messbar sind und abschliessend formuliert werden können.

Die Realität zeigt allerdings, dass sich der betriebliche Alltag nicht an solche Vorgaben hält. Der betriebliche Alltag lässt den Mitarbeitern viel Spielraum, vor allem, wenn die Mitarbeiter hochqualifiziert sind und in Spezialbereichen arbeiten, welche auch vom Vorgesetzten kaum noch genügend verstanden und überschaut werden können. Dieser Umstand lässt den Mitarbeitern zwangsläufig viel Raum für taktisches Verhalten. Dieser Sachverhalt spiegelt sich in Leistungsbeurteilungen der Vorgesetzten, welche selbst wieder taktisches Verhalten zum Ausdruck bringen, statt dass sie objektiv sind, wie es die Managementlehrbücher vorschreiben. Deutlich wird dies, wenn die Varianz der Leistungsbeurteilungen untersucht wird. Statt dass diese Urteile eine Normalverteilung über das Spektrum der guten bis zu den schlechten Noten bilden, ist diese Kurve konstant verzerrt, mit einem klaren Maximum über den stark positiven Urteilen. Taktisches Verhalten ist aber genau das, was mit den Leistungslohn-Modellen verhindert werden sollte. Die Mitarbeiter-Interessen sollen kompromisslos am Unternehmens-Interesse ausgerichtet werden und nicht fallweise, wenn es taktisch gerade gelegen kommt.

Statt nun aber das System bzw. dessen Realitätsnähe zu hinterfragen, wird mit „Forced Ranking“ versucht, die geforderte Objektivität zu erzwingen. Die Leistungsvorgabe für die Vorgesetzten in der UBS-Hierarchie lautet nun, dass die Mitarbeiter auf quantitativ bestimmte Weise benotet werden müssen: Die Note „hervorragend“ dürfen 5 bis 10%, die Note „aussergewöhnlich“ 15 bis 25%, die Note „gut“ 35 bis 45%, die Note „verbesserungsbedürftig“ wieder 15 bis 25% und die schlechteste Note „ungenügend“ 5 bis 10% der Mitarbeiter erhalten. Werden alle diese Benotungen aggregiert, so formen die Notenwerte eine schöne Normalverteilung. Weil die Normalverteilung objektiv ist, so kann daraus geschlossen werden, dass auch die Beurteilungen objektiv sind, so die Vorstellung. Endlich ist somit der Spielraum für taktisches Verhalten eliminiert worden.

Die Realität hält sich leider wieder einmal nicht an die Managementvorgaben. Die neuen Vorgaben eliminieren den Spielraum für taktisches Verhalten keineswegs. Im Gegenteil geben sie den Vorgesetzten neue Möglichkeiten in die Hand. Die ersten Resultate weisen darauf hin, dass die Vorgesetzen das System überlisten, indem sie den „schwarzen Peter“, die geforderten ungenügenden Noten, jenen Mitarbeitern zuweisen, die aus persönlichen Gründen und nicht wegen ihrer Leistung in einer schwachen Position sind. So werden überdurchschnittlich häufig jene Personen schlecht beurteilt, welche alt, häufig krank, teilzeitlich angestellt oder im Mutterschaftsurlaub sind. Eine alte Person beispielsweise ist auf eine gute Beurteilung ja gar nicht mehr angewiesen, so die Überlegung (vgl. NZZ am Sonntag vom 6.2.2011, Seite 31).

Das System, welches die UBS (und wohl auch etliche andere Unternehmen) verzweifelt zur Perfektion bringen wollen, krankt an etlichen Fehlüberlegungen:

Loyalität kann weder gekauft noch erzwungen werden: Basis dafür, dass sich ein Mitarbeiter für das Unternehmen einsetzt, ist dessen Loyalität. Loyalität kann nur von intrinsisch motivierten Mitarbeitern geleistet werden. Mitarbeiter sind loyal, wenn sie ein gutes Arbeitsklima vorfinden und erkennen, dass das Unternehmen ihr spezifisches Potential wahrnimmt und fördert.

Spielraum für taktisches Verhalten kann nie eliminiert werden: Solange wir nicht in einer vollständig deterministischen Welt leben, wird es immer Spielraum geben, welcher für taktisches Verhalten, aber auch für Innovationen und Experimente ausgenützt werden kann. Das Unternehmen kann immer irgendwelche Vorgaben machen und es wird immer gute Gründe geben, wenn diese Vorgaben nicht erfüllt werden können. Das Unternehmen muss sich entscheiden, ob es einen „Dienst nach Vorschrift“ fördern will oder ob es die Frage zulässt, warum bestimmte Vorgaben nicht erfüllt werden konnten. Im letzteren Fall wird das Unternehmen mehr Raum für Dynamik und Innovationen zur Verfügung stellen und mit grosser Wahrscheinlichkeit genau davon in der Zukunft profitieren können.

Strikte Vorgaben für die Leistungsbeurteilung bevormunden die Vorgesetzten:  Wenn die Vorgesetzten keinen Spielraum bei der Beurteilung der Leistung ihrer Mitarbeiter haben, werden sie in einem zentralen Punkt der Führungsverantwortung entwertet. Wo keine Spielraum besteht, so kann diese Arbeit ebenso gut von einem Algorithmus erfüllt werden. Die Unternehmen signalisieren damit, dass sie ihren Kadern die Kompetenz nicht zutrauen, ihre Mitarbeiter beurteilen sowie adäquat fördern und motivieren zu können.


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