Bedingungsloses Grundeinkommen: Utopie oder Dystopie?

29. March 2012, liberal, PiratenPartei, Politik, aktion-hip, No Comments »

Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist für seine Anhänger ohne Zweifel eine Utopie. Auch ich kann mir problemlos vorstellen, wie schön die Welt sein könnte, nachdem ein BGE eingeführt sein würde. Ebenso einfach kann ich mir aber auch das Gegenteil vorstellen: Eine Schweiz mit BGE als Dystopie. Mit der Einführung des BGEs könnte sich die Welt zum Gegenteil der schönen Träume entwickeln, welche sich die Fürsprecher des BGEs erhoffen.

Das utopische Szenario:

Am 1. August 2015 wird in der Schweiz das BGE eingeführt. Bezugsberechtigt sind alle Schweizer Bürger sowie Ausländer, welche mindestens 5 Jahre in der Schweiz gearbeitet haben. Das Grundeinkommen beträgt Fr. 2500.- pro Monat für alle Bezugsberechtigte, welche älter als 18 Jahre sind. Jüngere Bezugsberechtigte erhalten die Hälfte.

Bezahlt wird das BGE über eine Mehrwertsteuern, welche auf einen Europa-kompatiblen Satz von 20% angehoben werden. Interessanterweise führt der Anstieg der Mehrwertsteuersätze nicht zu Preissteigerungen. Ökonomen erklären sich dieses Phänomen durch die Zurückhaltung der Arbeitnehmer bei ihren Lohnforderungen. Weil die Arbeitnehmer bereit sind, auf rund 20‘000 Fr. Arbeitseinkommen zu verpflichten (mit den 30‘000 Fr. durch das BGE stehen sie immer noch besser da), können die Schweizer Firmen die Preise ihrer Produkte so senken, dass die Produkte auch mit dem Mehrwertsteueranteil noch konkurrenzfähig sind.

Die Schweizer Bevölkerung feiert die Einführung des BGEs enthusiastisch. Das BGE wird als Vertrauensbeweis der Schweizer Gesellschaft an seine Bürger empfunden. Entgegen ursprünglichen Befürchtungen fällt die Arbeitsbeteiligung der Bewohnerschaft nur leicht, um schätzungsweise 5%. Kompensiert wird dieser leicht gesunkene Einbezug in der formalen Arbeitsmarkt durch ein dramatisch gestiegenes gesellschaftliches Engagement. In allen Quartieren und allen Dörfern entstehen zivilgesellschaftliche Gruppierungen, welche unter dem Motte „Niemand wird zurückgelassen“ das Ziel verfolgen, jeden Bewohner und jede Bewohnerin gemäss ihrem Potential in die Schweizer Gesellschaft einzubinden.

Unter dem Einfluss des BGEs verändert sich auch der Schweizer Arbeitsmarkt. Das bedingungslose Grundeinkommen gibt den Arbeitnehmer die Möglichkeit, wählerisch zu sein. Sie müssen nicht mehr aus reinem Überlebenstrieb irgendeine Arbeit annehmen. Unter diesen geänderten Randbedingungen sind die Arbeitgeber gezwungen, die Qualität der Arbeitsplätze zu verbessern. Hierarchien werden abgebaut, die Arbeit richtet sich an selbstverantwortlich handelnde Personen, das Schlagwort der intrinsischen Motivation als Treiber für die Arbeitszufriedenheit macht die Runde.

Die Mehrheit der Schweizer Betriebe schafft diese Umstellung erstaunlich schnell und gut. Die Arbeitnehmer danken dies mit gesteigerter Arbeitszufriedenheit, die Loyalität zum Arbeitnehmer steigt deutlich, was sich in gesteigerter Produktivität und gegen Null tendierenden Fehlzeiten niederschlägt. Makroökonomisch macht sich dies in einer gesteigerten Innovationsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft bemerkbar. Fünf Jahre nach der Einführung des BGEs hat die Anzahl der Patentanmeldungen in der Schweiz einen neuen Höhepunkt erreicht.

Der neue Schweizer Gesellschaftsvertrag wird in der ganzen Welt berühmt. Marxisten feiern das Schweizer Modell als Einstieg in die klassenlose Gesellschaft, während liberale Gesellschaftstheoretiker das Schweizer Modell als geglückte Symbiose von Wettbewerb und Eigenverantwortung bezeichnen. Mit dem BGE sei dem Arbeitsmarkt als Einkommensquelle eine Konkurrenz und Alternative entgegengesetzt worden. Damit sei der Arbeitsmarkt gezwungen worden, die humanistischen Aspekte der Arbeitstätigkeit zu revitalisieren. Der Arbeitsmarkt habe diese Herausforderung angenommen Als Folge davon wurde die Arbeit unter allen Gesichtspunkten aufgewertet. Während vorher Arbeit bloss unter einem ökonomischen Gesichtspunkt wahrgenommen worden sei, werde die Arbeitstätigkeit neu als ganzheitlich sinnstiftend empfunden und geschätzt.

Dystopie “Elite und Schmarotzer”

Nach harten Auseinandersetzungen und einer phänomenalen Stimmbeteiligung von 75% wird das BGE 2015 in der Schweiz knapp angenommen und zwei Jahre später eingeführt.

Umgehend sinkt die Beteiligung der Schweizer Bevölkerung am Arbeitsmarkt um 20%. Dies macht sich auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Da der Arbeitsmarkt auszutrocknen droht, müssen die Arbeitgeber die Löhne nach oben anpassen. Dies schwächt die Schweizer Wirtschaft, die schon die Anpassung der Mehrwertsteuer auf 15% bewältigen muss, massiv.

Die Freude auf Seiten der BGE-Empfänger ist ebenfalls von kurzer Dauer. Was im Abstimmungskampf als menschenwürdiges Dasein und Teilnahme am öffentlichen Leben angekündigt worden ist, erweist sich als Existenz am unteren Rand der Gesellschaft. Die massive Steigerung des Mehrwertsteuersatzes wird von der Wirtschaft eins-zu-eins auf die Preise umgerechnet, was zur Folge hat, dass das Grundeinkommen von Fr. 30‘000.- zu viel zum Sterben, aber zu wenig zum Leben ist.

In der Schweiz machen sich Unruhen bemerkbar, nicht nur in der Zivilgesellschaft, sondern auch in Politik und Wirtschaft. In den Hinterzimmern von Politik und Wirtschaft wird an einer Revision des Gesellschaftsvertrags diskutiert, welcher 2022 zur Abstimmung gebracht wird. Vorgeschlagen wird eine massive Anhebung des Grundeinkommens auf Fr. 40‘000, gekoppelt mit der Bestimmung, dass der Bezug des BGE-Betrags freiwillig ist. Wer allerdings das BGE bezieht, verliert sein aktives und passives Wahlrecht.

Das freiwillige BGE wird überraschend deutlich angenommen. Im Abstimmungskampf zeigt sich die Wirtschaft seltsam desinteressiert und überlässt es den einzelnen Verbänden, eine Parole zu fassen. Die Medien dagegen unterstützen einhellig die BGE-Revision. Gruppierungen, welche auf die gefährlichen gesellschaftspolitischen Konsequenzen der Einschränkung der demokratischen Rechte hinweisen, werden als Verschwörungstheoretiker verspottet.

Nach der Annahme des freiwilligen BGEs zeigt sich, dass die Wirtschaft diese Änderung antizipiert hat. Die Schweizer Wirtschaft wird schnell und grundlegend umgebaut. Alle unproduktiven Arbeiten werden mit dem Verweis auf das BGE durch Computer und Roboter ersetzt. Die Arbeitsbeteiligung der Schweizer Bevölkerung sinkt rasch auf 33%, entsprechend steigt der Anteil der BGE-Bezüger massiv.

Innert kürzester Zeit wird in der Schweiz eine 2/3-el-Gesellschaft installiert. Die elitäre Minderheit besetzt alle Macht- und Einflusspositionen in Gesellschaft und Wirtschaft. Die Wirtschaft ist vollkommen durchrationalisiert. Die Schweizer Wirtschaft erringt in kurzer Zeit die Führerschaft bei der Erzeugung von Industrie- und Service-Robotern. Dank diesem Technologiesprung werden die Schweizer Beschäftigten zu den produktivsten Arbeitern weltweit. Selbst wenn die Arbeitsproduktivität auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet wird, mag die Schweiz mit den anderen Industriestaaten mitzuhalten.

Dank der gestiegenen Produktivität kann die Schweizer Wirtschaft Spitzenlöhne zahlen, welche es den Beschäftigten am Schweizer Arbeitsmarkt problemlos erlaubt, die gestiegenen Steuerabgaben zu kompensieren. Der Staat richtet Elite-Schulen und –Gymnasien ein um den notwendigen hochqualifizierten Nachwuchs für den Arbeitsmarkt zu bilden. Diese Schulen sind zwar stark subventioniert, dennoch wird pro Schuljahr eine Gebühr erhoben, die den Zugang an solche Schulen für BGE-Bezüger unmöglich macht.

Für die Klasse der BGE-Bezüger werden Masseneinrichtungen angeboten: Massenkaufhäuser, Massenkrankenhäuser, Massenaltersheime. Das Kennzeichen dieser Einrichtungen ist der extreme Automatisierungsgrad. Dank dem umfassenden Einsatz von Robotertechnologie gelingt es, ein Krankenhaus mit einer Belegungsdichte von 200 Personen mit fünf Chefärzten und 20 Roboter- und Computertechniker zu betreiben. Der Einbezug der Mobiltechnologie macht es möglich, den Gesundheitszustand der Patienten aus der Massenklasse intensiv auch noch nach dem Austritt aus dem Krankenhaus zu überwachen. Zwar steigt die Sterblichkeitsrate der Personen aus der Massenklasse, die durchschnittliche Lebenserwartung sinkt, bleibt dennoch höher als derjenige aus 3-Welt-Ländern.

Die Ausbildung der Vertreter der Massenklasse wird mit Verweis auf das BGE auf ein Minimum heruntergefahren. Das Ziel der Ausbildung besteht im Wesentlichen aus dem Erwerb der technologischen Fähigkeiten, die notwendig sind, um die Güter des Massenkonsums zu bedienen. Ebenfalls gelernt wird, wie man sich am besten verhält, wenn man im Notfall von einem Roboter behandelt und gepflegt wird.

Die Bewohner der Massenklasse leben in preisgünstigen Hochhaussiedlungen an den schlechten Wohnlagen in den Städten. Die Bewohner der Eliteklassen hingegen leben in bewachten Wohnzonen an den sonnigen Hängen der Vororte. Auch die Mobilitätsmuster haben sich gewandelt. Aufgrund stark gestiegener Benzinpreise und Energiesteuern kann sich praktisch nur noch die Eliteklasse private Mobilität leisten. Der vormals öffentliche Verkehr zwischen den Städten und von den Städten in die Ferienorte ist privatisiert worden, was massive Preisaufschläge zur Folge hatte. Preisgünstige öffentliche Mobilität gibt es nur noch in den Kernstädten.

Die Schweizer Gesellschaft ist nach der BGE-Revision durch eine durchgehende Segregation gekennzeichnet. Die Angehörigen der Massenklasse leben in Ghettos. Das Leben in diesen Ghettos ist durch hohe Kriminalität und weitverbreitete Drogensucht gekennzeichnet. Das Leben der BGE-Empfänger wird stark durch die Massenmedien geprägt. Massenereignisse, von der Elite-Klasse als „Brot und Spiele“ bezeichnet, reichern das Leben der BGE-Empfänger an. Untersuchungen zeigen, dass die Lebensqualität der BGE-Empfänger am sinken ist. Begründet wird dies durch den gefühlten Verlust an Freiheit und Perspektive. Kinder von BGE-Empfänger werden zu 99% BGE-Empfänger. Obwohl von der Sorge befreit, für ihr Überleben sorgen zu müssen, haben die Angehörigen der Masse-Klasse keine Möglichkeit, aus der damit gewonnenen Freiheit etwas zu machen.

Das Leben der Angehörigen der Elite-Klasse ist durch eine umfassenden Verantwortung für die wirtschaftliche Produktion und die Politik der Schweiz gekennzeichnet. Die Mitglieder der Elite-Klasse sind stark eingebunden in nationale und internationale Netzwerke, sowohl wirtschaftlicher, wie auch politischer Art. Die Angehörigen der Elite-Klasse äussern sich zufrieden über ihre Lebensqualität. Sie empfinden es zwar als Belastung, sowohl wirtschaftlich wie auch politisch für die BGE-Empfänger sorgen zu müssen, erkennen aber den Gewinn an Handlungsmöglichkeiten, welcher sich durch dieses Modell für ihr Leben ergeben hat.

Dystopie “Wirtschaftlicher Niedergang”

Nach einem intensiver Abstimmungskampf, welcher von der Befürworterseite vor allem mit der Argument der Freiheit und Selbstbestimmung geführt worden war während die ablehnende Seite warnend auf finanziellen Konsequenzen hinwies, wird das BGE 2015 in der Schweiz knapp angenommen. Die Schaffung der Ausführungsbestimmungen gestalten sich schwieriger als erwartet, so dass das BGE erst zwei Jahre später als geplant eingeführt werden kann.

Das BGE wird über die Mehrwertsteuern finanziert. Dies führt dazu, dass die Mehrwertsteuersätze massiv steigen. Grundnahrungsmittel zum reduzierten Steuersatz werden 19% teurer, Wohnungsmieten, Bahnfahrten und alle anderen Dienstleistungen werden 65% teurer. Da die Mehrwertsteuer für arbeitsintensive Dienstleistungsunternehmen wie eine Lohnsteuer wirkt, wird der Dienstleistungsbereich umfassend automatisiert. Mit dem Verweis auf das BGE werden 30% der Beschäftigten im Dienstleistungsbereich entlassen.

Der Sprung des Mehrwertsteuersatzes führt auch in der übrigen Bereichen zu einer enormen Belastung der Schweizer Wirtschaft. Das BSP bricht um 15% ein, was einerseits enorme Steuerausfälle bei Kommunen und Kantonen zur Folge hat, andererseits die Arbeitslosigkeit in der Schweiz auf ein kaum vorstellbares Mass von 45% steigen lässt. Vor allem junge Personen finden kaum noch eine Arbeit und richten sich entweder auf eine lebenslange BGE-Existenz ein oder wandern resigniert aus. Innert kurzer Zeit wird die Schweiz von einen Ein- zu einem Auswandererland.

Die drastischen Preiserhöhungen führen dazu, dass das BGE-Einkommen nur eine Existenz am unteren Rand der Gesellschaft zulässt. Dieses vereinigt allerdings nach kurzer Zeit die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung. Die Behörden versuchen, die Verelendungswelle zu stoppen und führen entgegen den ursprünglichen Erwartungen und Versprechungen wieder Ergänzungsleistungen ein. Mit Beschäftigungsprogrammen soll zusätzlich versucht werden, den BGE-Existenzen eine Perspektive zu geben. Dies kostet allerdings viel Geld, welches auf dem Kapitalmarkt beschafft werden muss. In wenigen Jahren steigt die Staatsverschuldung der Schweiz von 50% auf 200%. Dies hat Auswirkungen auf die Bonitätsnoten der Schweiz. Im Gleichtakt mit der Staatsverschuldung sinken diese von Triple-A auf Junk-Niveau. Dies wiederum hat dramatische Auswirkungen auf die Refinanzierungskosten.

Die Schweiz ist in einem unheilvollen Teufelskreis von wirtschaftlichen Niedergand und gesellschaftlicher Verelendung gefangen. 10 Jahre nach der Einführung des BGEs muss die Eidgenossenschaft den Staatsbankrott bekanntgeben.

Die Umschuldungsverhandlungen werden unter Aufsicht des IWFs geführt. Dieser verordnet der Schweiz harte Restrukturierungsmassnahmen. Um wieder das Vertrauen der Finanzmärkte zu gewinnen, wird als erster Schritt das BGE abgeschafft.


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