Renaissance der Atomenergie?

02. November 2009, Atomkraft, Experten, Umwelt, aktion-hip, No Comments »

Ein beliebtes Argument der Atomenergie-Gegner ist der Hinweis, dass die Atomenergie weltweit ein Auslaufmodell sei. Die Atomenergie-Befürworter dagegen weisen darauf hin, dass der Atomenergie eine Renaissance bevorstehe. Was sagen die Zahlen?
Die relevanten Informationen lassen sich bei der Internationalen Atom-Energie-Agentur (IAEA) finden. Diese Institution führt eine Datenbank mit allen Veränderungen bezüglich den Produktionskapazitäten von Atomenergie-Anlagen (PRIS: Power Reactor Information System).

Die Übersicht über die letzten sechs Jahre gibt ein folgendes Bild (Angaben in MW):

Jahr neu in Bau neu in Betrieb abgestellt in Bau – abgestellt in Betrieb – abgestellt in Bau + in Betrieb – abgestellt
2004 1’336 4’785 1’385 -49 3’400 4’736
2005 2’900 3’821 940 1’960 2’881 5’781
2006 2’360 1’490 2’236 124 -746 1’614
2007 6’515 1’857 6’515 1’857 8’372
2008 10’470 408 10’062 -408 10’062
2009 6’425 1’321 5’104 -1’321 5’104
Total 30’006 11’953 6’290 23’716 5’663 35’669

In den Jahren 2004 bis 2009 wurden rund 12 GW Atomenergie-Kapazität neu ins Netz gehängt und etwas mehr als 6 GW vom Netz genommen. Für diesen Zeitraum ergibt das einen Anstieg der Atomenergie von 5.6 GW. In den Jahren 2006, 2008 und 2009 wurden mehr Kapazitäten vom Netz genommen als neu zur Verfügung gestellt.

Noch deutlicher wird das Bild, wenn die Kapazitäten der sich in Bau befindlichen Atomenergie-Anlagen berücksichtigt werden. Hier resultiert über diesen Zeitraum ein (geplanter oder realisierter) Überschuss von 35.6 GW. In keinem der vergangenen Jahre wurde mehr Atomenergie-Produktionskapazität vom Netz genommen als dass in Betrieb oder in Bau gesetzt wurden.

Veränderung der Produktionskapazitäten (absolut) (Quelle: IAEA PRIS, Oktober 2009)

Veränderung der Produktionskapazitäten (absolut) (Quelle: IAEA PRIS, Oktober 2009)

Veränderung der Produktionskapazitäten (netto) (Quelle: IAEA PRIS, Oktober 2009)

Veränderung der Produktionskapazitäten (netto) (Quelle: IAEA PRIS, Oktober 2009)

Wie kann mit dieser Datenlage behauptet werden, dass die “Atomenergie auf dem Rückzug” sei (z.B. http://www.contratom.de/news/newsanzeige.php?newsid=18578). Die Forscher der vom früheren deutschen Umweltministers Sigmar Gabriel (SPD) beauftragten Untersuchung “Der Welt-Statusreport Atomindustrie 2009” schaffen das, indem sie für alle existierenden AKWs eine Laufzeit von 40 Jahren annehmen und damit berechnen, wie viele Reaktoren bis wann stillgelegt werden. Der Bericht kommt zu folgendem Resultat: “zusätzlich zu den 52 jetzt in Bau befindlichen Reaktoren müssten bis 2015 insgesamt 42 neue Reaktoren bzw. etwa 16 000 MW neue Atomenergiekapazität geplant, gebaut und in Betrieb genommen werden – etwa jeweils ein neuer Reaktorblock in sechs Wochen – und in dem darauf folgenden Jahrzehnt noch mal 192 Reaktoren mit insgesamt 170 000 MW Kapazität – jeweils ein neuer Reaktor in 19 Tagen.” Das sei, so der Bericht, aufgrund begrenzter Fertigungskapazitäten der Industrie und eines “besorgniserregenden Defizits” an Fachpersonal “schlicht unmöglich”.

Nun wusste schon Karl Valentin, dass Prognosen schwierig sind, besonders solche, welche die Zukunft betreffen. Wer die Fachkapazitäten in irgendeinem Bereich in 10 oder 20 Jahren bestimmen will, braucht sehr gute hellseherische Fähigkeiten. Ich weiss nicht, wie gut die Prognose-Qualität der Berichts-Autoren in der Vergangenheit war. Die Hauptaussage eines Berichts auf einen prognostizierten Zustand in 10 oder 20 Jahren zu legen, zeugt jedenfalls vor grosser Selbstsicherheit. Oder von einem ungebremsten Willen, unpassende Zahlen so lange durch die Experten-Mühle zu drehen, bis sie den richtigen Spin gewonnen haben, um die gewünschte Aussage zu stützen.

Halten wir uns an die Fakten der IAEA: die Produktionskapazitäten der Atomenergie werden ausgebaut.


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