Ökonomie und Krisenprognose

07. September 2018, Krise, Politik, aktion-hip, No Comments »

In seinem Artikel geht Thomas Fuster (“Ein bisschen Trost für die trostlose Wissenschaft”, NZZ vom 31.8.2018) auf die an die Ökonomen gerichtet Kritik ein, sie hätten die Finanzmarktkrise 2007 nicht vorhergesehen. Der Vorwurf ist altbekannt, wird er doch nach jeder Wirtschaftskrise erhoben. Er kann mit stichhaltigen Argumenten pariert werden.

Erstens ist nicht nur die Ökonomie schlecht darin, bevorstehende Krisen vorherzusagen. Der gleiche Vorwurf könnte man gegen die Ingenieurwissenschaften erheben, weil deren Vertreter beispielsweise den Zusammenbruch der Brücke in Genua nicht vorhergesagt haben. Offensichtlich ist nicht nur die Ökonomie untauglich für die Krisenprognose.

Zweitens haben einige Ökonomen die Finanzmarktkrise 2007 korrekt vorhergesagt. So beschreibt der Finanzjournalist Michael Lewis in seinem Buch «The Big Short» (2010), wie einige Finanzanalysten das Problem der Hypothekarverschuldung in Amerika erkannt hatten, diese Erkenntnis zu Wetten gegen den Hypothekarmarkt nutzten und auf diese Weise sehr reich wurden.

Drittens ist es nicht die Aufgabe der Ökonomie, Wirtschaftskrisen vorherzusagen. Krisen, auch wirtschaftlicher Art, wird es immer geben. Die Ökonomie ist erstaunlich gut darin, die (ordnungs-) politischen Bedingungen aufzuzeigen, unter denen es möglich ist, gesellschaftlichen Wohlstand zu erschaffen. Die neuere Ökonomie (Stichwort Verhaltensökonomie) wird auch immer besser darin, zu verstehen, warum sich die gesellschaftlichen Akteure nicht an solche Rahmenbedingungen halten, was in den meisten Fällen die Ursache neuer Wirtschaftskrisen in sich birgt.

Das letzte Argument kann auf paradoxe Weise umgekehrt werden: Es ist gerade eine Aufgabe der Ökonomie, eine Wirtschaftskrise nicht vorherzusagen. Im Krisenfall können dann die Politiker Häme über die Ökonomen ausgiessen und ihre Hände in Unschuld waschen. Sie seien ja nicht gewarnt worden und darum auch nicht verantwortlich für die Krise. Im Krisenfall erfüllen die Ökonomen so die Aufgabe des Sündenbocks und Blitzableiters für die Politiker.

Dieser Leserebrief ist am 10.9.2018 in der NZZ publiziert worden.


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