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Linke Wirtschaftspolitik: Vom Zusammenspiel von Markt und Staat

Mein Artikel in der Zukunft vom letzten September ("Die SP und die Krise") hat einige Reaktionen provoziert. Obwohl es in meinem Beitrag im wesentlichen um Parteipolitik und Wahlstrategie ging, haben sich die Reaktionen an meinen wirtschaftspolitischen Äusserungen entzündet und betrafen damit Punkte, die ich eher beiläufig ins Spiel brachte. In diesem Artikel will ich nun meine wirtschaftspolitische Position nachliefern. Ich hoffe, damit das Fundament klarzulegen, auf welchem meine Bemerkungen im September-Artikel Sinn machten.

Öffentliche und private Güter

Für die wirtschaftspolitische Diskussion ist es nützlich, zwischen privaten und öffentlichen Gütern zu unterscheiden. Öffentliche Güter sind durch Nicht-Ausschliessbarkeit und Nicht-Rivalität des Konsums charakterisiert. Nicht-Ausschliessbarkeit bedeutet, dass alle Personen gleichermassen Zugang zum Gut haben. Wenn die eine Person also das Gut geniessen kann, so muss dieses Gut notwendigerweise auch anderen Personen zur Verfügung stehen. Nicht-Rivalität meint, dass der Konsum des Guts durch die eine Person die Konsumchancen anderer Personen nicht mindert. Beispiel für öffentliche Güter sind eine schöne Aussicht oder Sicherheit im Strassenverkehr. Dadurch, dass ich eine schöne Aussicht geniesse, mindere ich in keiner Weise den Genuss anderer Personen an derselben schönen Aussicht (Nicht-Rivalität). Sobald der Strassenverkehr so organisiert ist, dass ich mich sicher bewegen kann, können auch andere Personen von dieser Sicherheit profitieren (Nicht-Ausschliessbarkeit).

Es ist offensichtlich, dass für ein solcherart charakterisiertes Gut kein Eigentumsrecht definiert werden kann. Damit wird sofort klar, dass für öffentliche Güter kein Markt existiert. Der eigentliche Sinn des Markts ist es, die Übertragung von Eigentumsrechten von einer Person auf die andere zu organisieren. Wo kein Eigentum vorhanden ist, löst sich der Markt in nichts auf. Private Güter dagegen können ausgezeichnet auf Märkten gehandelt werden.

Es ist eine der zentralen wirtschaftspolitischen Fragen, zu bestimmen, wie gross die Menge der produzierten Güter (und Dienstleistungen) sein soll. Richtschnur dabei soll der Wohlstand der Bevölkerung sein. Werden zuviel Güter produziert, bedeutet dies, dass Ressourcen falsch alloziert werden. Resultat ist, dass entweder Raubbau an der Natur betrieben wird, was den Wohlstand zukünftiger Generationen beeinträchtigt, oder dass die Ressourcen für andere Güter, welche mehr Nutzen bringen, fehlen. Werden zuwenig Güter erzeugt, so heisst das, dass die Bevölkerung unterversorgt ist. Beides ist suboptimal.

Ich bin der Meinung, dass der Markt das effizienteste Instrument ist, die Produktion privater Güter zu organisieren. Dieser Meinung bin ich aus drei Gründen:

Erstens maximiert der Markt die Summe aus Produzenten- und Konsumenten-Rente. Zweitens ist der Markt, dank der Konkurrenz, dynamisch. Dies bedeutet, dass die Produzenten- und Konsumenten-Renten nicht bloss zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern im ganzen Zeitverlauf optimiert werden. Drittens ist der Markt frei, d.h. er ist selbstregulierend und kommt damit ohne Zwangsmassnahmen aus.

Wer mir auf einer nicht-ideologischen Basis eine bessere Alternative zur Organisation der Produktion privater Güter schmackhaft machen will, muss genau dies tun: Zeigen, dass die Alternative in diesen drei Punkten besser funktioniert als der Markt. Der Staat jedenfalls, dies lässt sich sowohl theoretisch zeigen wie auch aus den empirischen Daten eindeutig ablesen, ist dem Markt in dieser Beziehung weit unterlegen.

Ich will damit nicht behaupten, dass Personen, die als Staatsangestellte private Güter produzieren, dies ineffizient tun. Private Güter, welche vom Staat angeboten werden, brauchen nicht zwangsläufig teurer zu sein als von privater Hand produzierte. Da aber der Staat nicht der Marktkontrolle unterworfen ist, ist die Bestimmung der optimalen Menge solcherart produzierter Güter nur schwer möglich. In der Regel werden von der öffentlichen Hand zu grosse Mengen angeboten, weil die Bedeutung der Akteure (und damit deren Entlohnung) mit dem Umfang des Outputs steigt. Wie oben angeführt ist ein Überangebot schlecht, bedeutet dies doch eine Verschwendung knapper Ressourcen, welche auf Kosten der Gesamtbevölkerung geht.

Weshalb braucht es dann noch einen Staat, wenn er so schwach abschneidet bei der Organisation der Produktion privater Güter? Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir uns wieder den öffentlichen Gütern zuwenden. Im Gegensatz zum Markt, der bei öffentlichen Gütern versagt, hat der Staat keine Probleme, solche Güter anzubieten. Wie das Beispiel der Sicherheit im Strassenverkehr zeigt, braucht es Vorschriften und Kontrollen. Beides sind unbestrittenermassen Aufgaben der öffentlichen Hand. Würden sie wegfallen, würde die Verkehrssicherheit innert kürzester Zeit zusammenbrechen.

Meine grundlegende Meinung lautet somit: Der Markt soll die Produktion privater Güter organisieren, der Staat soll sich mit den öffentlichen Gütern befassen.

Institutionen

Oben habe ich aufgezeigt, dass die Bestimmung der optimalen Menge der zu produzierenden Güter ein zentrales wirtschaftspolitisches Problem ist. Der Markt löst diese Aufgabe für private Güter. Wie sieht die Lage für öffentliche Güter aus? Besteht nicht auch hier die Gefahr, dass der Staat tendenziell diese Güter im Übermass produziert? Ganz im Gegenteil besteht bei öffentlichen Gütern das Problem nicht darin, dass zuviel von diesen, sondern dass sie überhaupt hergestellt werden. Warum sollte irgendein rational denkendes Individuum sich damit abgeben, ein öffentliches Gut anzubieten? Gemäss Definition profitieren sofort alle davon, wenn ich ein öffentliches Gut herstelle. Da ich das weiss, warte ich lieber, bis eine andere Person dieses Gut herstellt. Da kann ich davon profitieren, ohne dass ich mich zuerst abgemüht habe. Und weil alle so denken, wird das öffentliche Gut schlussendlich überhaupt nicht hergestellt.

Sicherheit, so habe ich gezeigt, ist ein öffentliches Gut. Rechtssicherheit, Verkehrssicherheit etc. bedürfen entsprechender Institutionen. Somit sind auch Institutionen öffentliche Güter. Eine in diesem Zusammenhang speziell spannende Institution ist die Marktordnung. Stellen wir uns, um die Bedeutung dieser Institution zu verdeutlichen, eine Situation ohne Staat und Ordnung vor. Diebstahl sei ohne Problem möglich und damit Eigentum als solches abgeschafft. In einer solchen Gesellschaft bestände recht wenig Anreiz zu produktiver Tätigkeit. Würde sich irgendeine Person zu einer produktiven Arbeit entschliessen, wäre sie sofort umringt von einer Horde Menschen, die ihr umgehend das Produkt ihrer Arbeit entreissen und sich aneignen würden.

Eine solche Situation ist selbstverständlich äusserst instabil. Ziemlich schnell würde sich als Minimalinstitution ein Diebstahlsmonopol herausbilden. Ein Diebstahlsmonopol ist eine Gesellschaft, in welcher eine kleine Schicht von Räubern die übrige Bevölkerung auf kontrollierte Weise ausbeutet. Die Räuberschicht eignet sich die Produktion der arbeitenden Bevölkerung an, belässt dieser aber noch einen Teil, welche es der Bevölkerung gestattet, zu überleben und sich zu reproduzieren. Als "Entgelt" bietet die Räuberschicht der Bevölkerung Schutz an, d.h. die Sicherheit, nicht von irgendeiner Person und unkontrolliert ausgebeutet zu werden. Verglichen mit dem ordnungslosen Zustand hat eine solche Gesellschaft einen Fortschritt errungen. Immerhin ist sie in einem gewissen Mass produktiv und erzeugt damit gesellschaftlichen Wohlstand. Damit ist auch ein Diebstahlsmonopol schon ein öffentliches Gut. Historisch sind uns solche Gesellschaften aus dem Feudalismus vertraut.

Zweifellos hat eine solche Gesellschaft Verbesserungspotential. Eine Gesellschaft mit einem Produzentenmonopol, in welcher also das erzeugte Produkt primär den Produzenten und nicht einer Räuberschicht gehört, ist mit Bestimmtheit produktiver. Genau ein solcher Produzentenmonopol wird aber durch die Rechts- und Marktordnung sichergestellt.

Wenn wir also fordern, der Markt müsse richtig institutionalisiert werden, so darf dies nicht bedeuten, dass (in keynesianischem Sinn) interventionistisch in den Markt eingegriffen wird. Den Markt zu institutionalisieren heisst nicht mehr und nicht weniger als Eigentumsrechte und Vertragssicherheit zu garantieren (sowie externe Kosten zu internalisieren, aber das ist ein weiteres Thema).

Mit einem solchen Verständnis wird die linke Forderung, der Markt müsse sich der Politik unterordnen, plötzlich eigenartig und überflüssig. Der Markt ordnet sich von vornherein der Politik unter, er kann gar nicht anders. Ohne Politik, d.h. ohne einen institutionellen Rahmen, welcher von der öffentlichen Hand gewährleistet wird, kann ein Markt gar nicht existieren.

Ich will natürlich nicht verheimlichen, dass hinter der Forderung nach dem Primat der Politik nichts anderes steht als der Wunsch nach interventionistischen (z.B. Marktstimulierung) und kontrollierenden (z.B. Preis- und Konsumkontrolle) Einriffen in den Markt. Ich würde Leute, welche solche Forderungen aufstellen, gerne fragen, ob sie sich im klaren sind über die Folgen ihrer Wünsche. Sind sie der Meinung, dass damit der gesellschaftliche Wohlstand gesteigert werden könne? Und können sie eine solche Annahme tatsächlich beweisen? Und wenn nicht, sind sie bereit, einen Verlust an gesellschaftlichem Wohlstand zu verantworten?

Kollektives Handeln

Das Gedankenspiel mit der ordnungslosen Gesellschaft zeigt: Institutionen sind öffentliche Güter und ermöglichen kollektives Handeln. Damit gelange ich zu einem weiteren zentralen Punkt in der Erörterung von privaten und öffentlichen Gütern. Das ökonomische Menschenbild geht von einem Modell aus, in welchem der Mensch seinem Eigennutz verpflichtet ist. In bestimmten Situationen ist aber zum Vorteil aller kollektives Handeln vonnöten. Der Markt bringt kein kollektives Handeln zustande. Diese Möglichkeit ist ausschliesslich der politischen und sozialen Sphäre vorbehalten.

Es ist zu beachten, dass weder zwischen Eigennutzen und Gemeinwohl noch zwischen Eigennutzen und kollektivem Handeln ein unauflösbarer Gegensatz besteht. Wie ich gezeigt habe, ist es für die einzelne Person in gewissen Situationen durchaus profitabel, sich an kollektivem Handeln zu beteiligen und damit zum Gemeinwohl beizutragen. Wo geeignete Institutionen bestehen (die z.B. mit einer minimalen Sanktionsgewalt ausgestattet sind), kommt kollektives Handeln nicht trotz sondern gerade deswegen zustande, weil die Individuen an ihrem Eigennutzen orientiert sind.

Ein Beispiel, welches Bezug nimmt auf die gegenwärtige Arbeitsmarktsituation, möge dies verdeutlichen. Seit Keynes ist allen Personen, insbesondere auch den Arbeitgebenden, hinlänglich bekannt, dass die Nachfrage von der Kaufkraft abhängig ist, diese wiederum vom (Arbeits-) Einkommen. Ist die einzelne Arbeitgeberin deshalb speziell aufgeschlossen, wenn es zu Lohnverhandlungen im Betrieb kommt? Wohl kaum. Für die einzelne Arbeitgeberin sieht die konkrete Situation nämlich anders aus. Die optimale Situation für diese besteht darin, ihren Lohnabhängigen möglichst geringe Löhne zu zahlen, das senkt die Kosten, und dabei zu hoffen, dass die anderen Betriebe möglichst gute Löhne bezahlen, da dies die Nachfrage stärkt. Weil dies alle Arbeitgeber wissen, wird in einem ungeregelten Zustand versucht, die Löhne möglichst weit zu drücken. Kaufkraft und Konsumlust einer Gesellschaft ist ein öffentliches Gut, der Betriebsgewinn dagegen ist privat. Erst mit der Sozialpartnerschaft ist eine geeignete Institution vorhanden, welche sicherstellen kann, dass zum Wohl der ganzen Gesellschaft grosszügigere Löhne bezahlt werden.

Gerechtigkeit

In meine Ausführungen habe ich einen Ausdruck vermieden, welcher in linken Diskussionen einen gewichtigen Stellenwert einnimmt. Sowohl bei meinen Erläuterungen über Rechtsordnung wie auch über Lohnhöhe bin ich ohne den Begriff "Gerechtigkeit" ausgekommen. Ich bin der Ansicht, dass Gerechtigkeit weder in der Sphäre des Markts noch in derjenigen der Politik etwas zu suchen hat. Ein Gefühl und Verständnis für Gerechtigkeit bildet die Basis von sozialen Beziehungen. Eine Welt ohne Gerechtigkeit wäre eine unsoziale Welt. Gerechtigkeit aber politisch zu definieren und wirtschaftlich umzusetzen, erachte ich als verheerend. Es ist unmöglich, dass sich eine Person soziale Kompetenzen erwirbt, ohne ein Gefühl für Gerechtigkeit zu entwickeln. Wo Gerechtigkeit politisch vorbestimmt wird, werden die Individuen entmündigt, werden sie sozial verkrüppelt. Auch das ist eine Aufgabe der Politik: den Gesellschaftsmitgliedern den Raum für die soziale Entwicklung freizuhalten.

Linke Wirtschaftspolitik: wiederentdeckt

Auf diesem Hintergrund setze ich mich für eine effiziente und fortschrittliche Wirtschaftspolitik ein. Weil eine solche Wirtschaftspolitik nicht mit dem Postulat der Gerechtigkeit belastet ist, geht es ihr (zumindest vorrangig) nicht darum, Einkommensunterschiede abzubauen, sondern die Bedürfnisse der Gesellschaftsmitglieder effizient und optimal zu decken. Auf einen kurzen Nenner gebracht: Eine solche Wirtschaftspolitik trachtet nicht danach, dass alle gleich sind, sondern, dass es allen besser geht. Ziel einer solchen Politik ist eine Wirtschaft, die sowohl stabil wie auch dynamisch ist. Die Wirtschaft ist stabil, weil sie nicht Altruismus oder andere Motive voraussetzt, Prinzipien, die zwar edel sind, die aber durch einen einzigen Profiteur zum Kippen gebracht werden können. Eine eigennützige Akteurin in einer eigennützigen Wirtschaft handelt aber systemkonform, kann deren Funktionieren nicht gefährden. Dynamisch ist die Wirtschaft, wenn die richtigen Anreize für innovatives Handeln gesetzt sind. Die Marktkonkurrenz lässt den eigennützigen Akteuren gar keine andere Möglichkeit, als immer wieder aktiv und kreativ zu handeln.

Kann eine solche Wirtschaftspolitik noch links sein? Ich bin der Überzeugung, dass eine linke Wirtschaftspolitik, auch mit einem unverkrampften Verhältnis zum Markt, nichts an Dringlichkeit verloren hat.

Jeder Fortschritt hinterlässt Gewinnende und Verlierende. Es gehört zum Wesen des Fortschritts, dass die gesellschaftlichen Gewinne grösser als die Verluste sind. Damit wird es im Prinzip möglich, die Fortschrittsverlierer für ihre Verluste zu kompensieren. Es ist eine allgemein akzeptierte Sachverhalt, dass die sozial schwächeren Mitglieder der Gesellschaft von Veränderungen, auch von Fortschritten, am stärksten betroffen sind, darunter am meisten leiden. Somit lässt sich als Devise formulieren: Eine linke Wirtschaftspolitik ist offen für Fortschritte und setzt sich dabei konsequent für die Belange der sozial Schwächeren ein.

Benno Luthiger (15. Mai 1998)