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Mediengeile Gewalt und gewaltgeile Medien

Zum G8-Ereignis in Genua hat Koni Loepfe im p.s. vom 26. Juli einen Leitartikel geschrieben, in dem praktisch alles gesagt ist, was man vernünftigerweise zu diesem Thema sagen kann. Das befreit mich von der Aufgabe bzw. der Verlockung, auch noch etwas zu dieser Angelegenheit abzusondern. Statt dessen will ich ein wenig über die Anreize und Beweggründe spekulieren, welche die Demonstranten, in diesem Fall die Globalisierungsgegner, zu ihren Aktionen führt.

Aus der 80er Bewegung kenne ich den Spruch „Ohne Polizei, kein Krawall". Ich weiss nicht, ob diese Argumentation für die Zeit der 80er Bewegung Gültigkeit hatte. Ich bin aber sicher, dass diese Begründung heute nicht (mehr) gilt. Diese Erfahrung habe ich 1998 als Gaffer an der damaligen 1.Mai-Nachdemo gewonnen. Während dem üblichen Umzug und nach dessen Abschlusskundgebung auf dem Helvetiaplatz waren weit und breit keine Polizisten auszumachen. Diese Situation passte einigen krawallsüchtigen Personen nicht, die auf ihre jährliche Ration Krawallspiele nicht verzichten wollten. Also wurde kurzerhand der Eingang einer naheliegenden Geschäftsliegenschaft demoliert und hartnäckig mit brennenden Materialien attackiert und zwar dergestalt, dass Leib und Leben der in den oberen Stockwerken wohnenden Personen ernsthaft bedroht war, ganz zu schweigen vom Schaden am Mobiliar durch die sich entwickelnden Rauchschwaden. Dass in einer solchen Situation die Feuerwehr einschreitet, ist klar. Dass diese von den Krawallanten mit einem Steinhagel empfangen wurden, ist so abstossend wie folgerichtig. Denn nun endlich musste die Polizei einschreiten, um die Feuerwehr in ihrem Einsatz zu beschützen, und die Gewaltphantasien der krawallbereiten Demonstranten gingen doch noch in Erfüllung. Seit diesem Nachmittag verweigere ich mich als Gaffer bei Anlässen, bei welchen Krawall möglich, d.h. von einem Teil der Personen angestrebt wird.

Heute scheint mir die Devise Ohne Medien, kein Krawall weitaus zutreffender zu sein als der im 80gi postulierte Zusammenhang zwischen Polizei und Krawall. In den italienischen Medien haben bei den G8-Krawallen die Bilder, welche gewalttätige Szenen zeigen, solche mit friedlichem Inhalt im Verhältnis 10:1 übertroffen. Dieses Verhältnis zieht sich in etwa durch alle Medien, unabhängig von ihrem politischen Standpunkt und ihren Sympathien. Schon weit im Vorfeld haben die Diskussionen um die erwarteten Gewalttätigkeiten die Vorschauen dominiert. Die italienische Polizei hat keinen Zweifel gelassen, dass sie die Angelegenheit ernst nimmt, was immer das genau heissen mochte. Die G8-Gegner ihrerseits haben keinen Hehl daraus gemacht, dass sie Auseinandersetzungen mit der Polizei nicht aus dem Weg gehen würden.

Warum orientieren sich die Globalisierungsgegner in ihren Aktionen derart stark an den Medien? Die Vorstellung, sich oder sein Wirken in den Medien dargestellt zu sehen und damit automatisch auch Spuren in der realen Welt hinterlassen zu haben, scheint ausserordentlich attraktiv zu sein. Ungewollt präzise kommt diese Einstellung auf den Transparenten an einem Haus an der Hohlstrasse zum Ausdruck. Auf dem ersten Transparent schreiben die Hausbewohner: „Die italienische Polizei foltert G8-Gegner im Gefängnis". In grossen Lettern prangern sie auf einem zweiten Transparent an: „Die Medien schweigen". Ihre Empörung gilt offensichtlich weniger der Misshandlung von Personen als dem Umstand, dass die Medien nicht angemessen darüber berichten. Als ob ein Zeitungsartikel die Welt verbessern würde.

Wie kommt es, dass sich eine Bewegung so bereitwillig und einseitig auf Gewalt reduzieren lässt? Die Frage umgekehrt zu stellen, ist aufschlussreicher: Wie müsste eine Bewegung vorgehen, um Aufmerksamkeit zu erlangen, ohne dass sie gewalttätige Methoden einsetzt? Sie müsste Konzepte und Inhalte entwickeln, sie müsste Beziehungen pflegen und Reputation aufbauen, sie müsste Strukturen bilden, welche auf Verantwortlichkeiten und Verbindlichkeiten basieren und gemeinsames Handeln erlauben. Das ist eine riesige und komplexe Arbeit, welche über gemeinsames Chatten im Internet und das Vernetzen von Webseiten weit hinaus geht. Warum also all die Mühen auf sich nehmen, wenn es mit einem gezielten Steinwurf auch zu gehen scheint?

Dazu kommt, dass sich die Globalisierungsgegner in einem hochkompetitiven Umfeld bewegen, wenn sie um die Medienaufmerksamkeit buhlen. Mag eine Person noch so engagiert sein, mag ihr Einsatz noch so anerkannt sein, mag ihre Kritik an der Globalisierung noch so prägnant sein, wenn diese Person zur Besonnenheit und Zurückhaltung mahnt, so wenden sich die Photo- und Fernsehkameras der nächsten Person zu, welche ungeschminkt zum Sturm aufruft. Es sind immer die Scharfmacher, die das Bild einer Bewegung prägen, falls nicht wirkungsvolle interne Strukturen dies verhindern können.

Ein Blick auf die 1. Mai-Demos in den letzten Jahren ist in dieser Hinsicht erhellend. Der 1. Mai hat in Zürich in den letzten Jahren eine traurige Berühmtheit erlangt, weil er immer mehr durch die gewalttätigen Nachdemos geprägt wurde. Die Organisatoren scheinen nun erkannt zu haben, dass diese Gewalttätigkeiten auch ihre Arbeit stigmatisieren. Je mehr sich die Medien auf die Nachdemos konzentrieren, desto geringer wird die Möglichkeit der Veranstalter, über die Organisation des regulären Umzugs noch inhaltliche Zeichen setzen zu können. Es bestand die Gefahr (und sie besteht immer noch), dass die krawallbereiten Demonstranten den 1.Mai unfriedlich übernehmen, dass sie ihm den Stempel aufdrücken und bestimmen, was vom 1.Mai als mediales Echo gespiegelt wird.

In einem schmerzlichen Prozess ist es den Veranstaltern bewusst geworden, dass es nicht ausreicht, die gewalttätigen Nachdemos als Problem der Polizei zu überlassen. Die passive Hinnahme von Gewalt ist ein Nährboden, in welchem sich gewaltbereite Personen wohlfühlen. Sie ist eine notwendige Voraussetzung für die Aktivitäten solcher Personen. In diesem Jahr scheinen die Organisatoren diese Zeichen erkannt zu haben. Sie waren bereit, zumindest so weit mit der Polizei zu kooperieren, dass es dieser möglich war, die gewalttätigen Personen wirkungsvoll zu isolieren.

Die gleichen Mechanismen scheinen sich auf grösserer Ebene bei den Globalisierungsgegnern abzuspielen. Bloss dass hier eine Organisation fehlt, welche vertrauensbildende Massnahmen mit der Bürgergesellschaft entwickeln und eine Kooperation mit der Polizei eingehen könnte.

Bei aller Sympathie für das Engagement, die Hoffnungen und Wünsche der jungen Leute: ihr Einsatz wird solange sinnlos bleiben, wie er sich an der Scheinwelt orientiert, welche von den Medien vorgegaukelt wird.

Benno Luthiger (1. September 2001)