Navigation


RSS: Artikel / Kommentare



Von Läusen und anderen Dingen, die zwicken

Am letzten Freitag im August hat Bettina die Genossinnen und Genossen der Sektion zu einer lauschigen Sommernachts-Party eingeladen. Das eine Resultat dieses Treffens in Bettinas romantischem Garten konnte ich anderntags am meinen Beinen abzählen: nicht weniger als zehn Läusestiche summierten sich da zusammen, Läusestiche, die sich mir mit der Zeit dergestalt infam jukkend einprägten, dass ich jeden einzelnen von ihnen auch ohne abzählen jederzeit präsent hatte. Dieser heimtückische Anschlag auf meine Epidermis hat mich über alle Massen traurig, wütend und betroffen gemacht. Um dieses traumatische Erlebnis in aller Form verarbeiten zu können, werde ich vor einem geeigneten Gericht in New York eine Sammelklage „Läuseopfer vers. Bettina" anstrengen. Mit anderen Worten: Bettina, Dir geht’s an den Kragen. Aber möglicherweise werde ich Dich als Anwältin mit der Betreuung des Falls beauftragen, und dann verdienst Du Dir ja wieder eine goldene Nase dabei.

Im Verlauf des Abends entspann sich eine angeregte, teilweise gar heftig geführte Diskussion zu solch grundsätzlichen Themen wie Zentralismus, Subsidiarität, Steuerharmonisierung und Solidarität. Aufgrund fahrplantechnischer Sachzwänge, unverrückbar gesetzt durch die hiesige ÖV, wurde die Diskussion beendet bzw. vertagt, bevor die ersten Köpfe (z.B. eventuell meiner) blutig geschlagen wurden. Eine Person meinte zum Abschied, mit einem wehmütigen Leuchten in den Augen, wie mir schien, die soeben erlebte Diskussion erinnere sie an Auseinandersetzungen, die ähnlich engagiert vor langer Zeit geführt worden seien.

Das war für mich das andere Ergebnis dieses Abends: Die SP hat Zeiten der Auseinandersetzung erlebt, die älteren Genossinnen und Genossen durchaus positiv in Erinnerung sind, aber irgendwie sind uns in der Zwischenzeit die Streitgelegenheiten abhanden gekommen.

In der Septemberabstimmung sind mit der AHV und den Wohnvorlagen Geschäfte traktandiert, zu denen die SP routinemässig Parolen fasste. Es war eine Parolenfassung, von welcher jede unabhängige Beobachterin schon zum voraus mit absoluter Gewissheit wissen konnte, wie sie ausfallen würde. Business as usual, ein eingespielter Reflex, kein Kind tiefschürfender Überlegungen. In unruhigen Zeiten sei die Partei ein sicherer Führer.

Ich will den Wert von Zuverlässigkeit, Berechenbarkeit und Voraussehbarkeit nicht leugnen. Die Kehrseite dieser Medaille mag ich allerdings ebensowenig unter den Teppich wischen. Die Kehrseite heisst Langeweile, Vergreisung, Erstarrung. Das Beispiel zeigt meiner Meinung nach deutlich: Die SP ist Teil des Schweizer Machtkartells und trägt mit ihrer Unbeweglichkeit dazu bei, dass sich in der Schweizer Politik so selten etwas bewegt.

Ich spüre, dass in unserer Sektion Leute aktiv sind, welche die erwähnten Themen, aufgrund eigener Erfahrungen, nicht einfach stromlinienförmig anpacken wollen. Zweifellos geht dies auf Kosten der Einheitlichkeit, wenn kontroverse Meinungen aufgezeigt werden. Doch was wir an Einheitlichkeit verlieren, gewinnen wir an Lebendigkeit. Ich möchte, dass wir in der Sektion Formen finden, Dissens transparent und nachvollziehbar zu machen. Ich möchte Formen finden, welche auch gegen aussen attraktiv wirken, welche der interessierten Öffentlichkeit zeigen, dass wir uns wichtigen Themen offen annähern. Ich möchte Formen finden, welche interessierte Personen ansprechen und einladen zu Partizipation und Engagement.

Benno Luthiger (1. Oktober 1998)