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Grill mit Ursula Koch

Das Positive vorneweg: Die Diskussion war angeregt. Die Voten von Ursula Koch wurden teilweise sehr kritisch aufgenommen. Unser Gast bekam manch energischen Widerspruch zu hören. Ursula begann ihre Ausführungen mit ihrer bekannten Attacke gegen den Neoliberalismus. In ihrem Votum stellte sie die Vertreter von neoliberalen Denkansätzen pauschal als naiv Marktgläubig dar, als Personen, welche treuherzig der unsichtbaren Hand von Adam Smith vertrauten.

Mein Kommentar zu Ursulas Argumentation: Es ist nun mal so, dass es Personen gibt, die davon ausgehen, dass der Markt auf bestimmten Gebieten verhältnismässig effiziente Ergebnisse erzielt. Diese Personen einfach der „Marktgläubigkeit“ zu beschuldigen ist etwa so angebracht, wie Personen der „Technikgläubigkeit“ zu schimpfen, die für das Einschlagen eines Nagels in die Wand lieber einen Hammer gebrauchen als ihren Schuhabsatz. Eine Politik, die wesentlich auf eine Verunglimpfung von gegnerischen Positionen aufbaut, ist unappetitlich und auch hilflos, da können noch so viele Grundwerte bemüht werden. Immerhin besteht die Theorie hinter der Marktwirtschaft aus einer überschaubaren Anzahl von recht einleuchtenden Annahmen (z.B. menschliches Rationalverhalten, Konkurrenz, Angebot und Nachfrage etc.). Eine Kritik der Markttheorie, die ernst genommen werden will, darf diese Hypothesen nicht einfach ignorieren, sondern sollte damit beginnen, sie kritisch zu hinterfragen.

Mit ihrer ganzen Schwarz-Weiss-Malerei weicht Ursula dem Problem aus, bestimmen zu müssen, wie viel Markt sie denn eigentlich will. Ich gehe nicht davon aus, dass es Ursulas Ziel ist, den Markt abzuschaffen.

Was aber steht hinter solchen radikal-verbalen Attacken? Zum einen ist es das Ziel, den Markt politisch zu kontrollieren oder zumindest zu beeinflussen. Eine politisch kontrollierte Firma soll, so die Vorstellung, Produkte anbieten, die im politischen Prozess definiert worden sind, und dies zu einem Preis, welcher politisch überwacht wird. Es stellt sich die Frage, ob ein solches Unternehmen sinnvollere, d.h. der Bedürfnissen der Bevölkerung besser entsprechende Produkte erzeugt. Die Erfahrungen zeigen, dass solche Betriebe sehr häufig in erster Linie die Ambitionen der Politiker bedienen.

Eine andere Frage ist, wie lange ein solcher Betrieb existieren kann in einer Situation, welche durch das Vorhandensein von Wettbewerb gekennzeichnet ist. Eine politische Kontrolle eines Unternehmen hat zur Folge, dass diese Firma diverse politisch motivierte Rücksichten nehmen muss. Dies führt zwingend zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen für dieses Unternehmen. Innert kurzer Zeit wird es vom Markt verschwinden oder kann sich allenfalls mit Subventionen aus der Staatskasse behaupten. Der Frust der Anhänger einer solchen Doktrin ist angesichts derartig zwangsläufigen Folgerungen nachvollziehbar und deren Wunsch, den Markt überhaupt auszuschalten, verständlich. Er macht aber den blinden Kampf gegen den Markt deswegen nicht sinnvoller.

Kommt hinzu, dass der Wunsch nach einer politischen Kontrolle des Markts implizit die Bevormundung der Individuen einschliesst. Der Markt ist sehr wohl einer Kontrolle unterworfen. Diese wird von den mündigen Konsumentinnen und Konsumenten ausgeübt. Die Möglichkeit einer solche Kontrolle wird in der SP weitgehend ignoriert oder zumindest unterschätzt. Die SP hat in diesem Punkt leider eine sehr zwiespältige Haltung. Auf der einen Seite fordert und fördert sie die mündige Bürgerin, sobald es aber um den selbstbestimmten Konsum geht, so verliert die SP ihr Vertrauen in das mündige Individuum und dringt statt dessen auf staatlichen Interventionen.

Das kompromisslose Auftreten gegen den Markt kann noch durch eine zweite Strategie motiviert sein. Diese erklärt sich aus der Auseinandersetzung um die Privatisierung von Betrieben der öffentlichen Hand. Sie besteht darin, einen Gegendruck gegen die Privatisierungspläne aufzubauen um damit wenigstens zu erreichen, dass der gegenwärtige Stand gehalten werden kann. Sich in der heutigen Situation aber stur auf den Status Quo zu versteifen und sich gedankenlos gegen jegliche weitere Marktliberalisierungen zu stemmen, ist eine gar simple Art des Politisierens. Wir leben in einer dynamischen Zeit. Dass der Staat gewisse Aufgaben aus der Hand gibt, um sich konzentriert neuen und dringenderen zuzuwenden, ist eine mögliche Option, und bestimmt nicht die schlechteste.

Ursula Koch will mit ihrer Grundwertedebatte den neoliberalen Bestrebungen eine SP-Position gegenüberstellen. Die Frage nach den Werten, auf welche eine SP-Politik aufbauen kann, ist der Ausgangspunkt der angestrebten Diskussion. Als Kandidaten, dereinst als SP-Grundwerte zu fungieren, stehen Gerechtigkeit, Solidarität, Freiheit, Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit im Gespräch.

Sollte sich die Grundwertedebatte im Aufzählen eines Wertekanons erschöpfen, so wird sie ihr Ziel, der SP zu einem unverwechselbaren politischen Profil zu verhelfen, wohl kaum erreichen. Viele bürgerlich politisierende Menschen haben kaum Berührungsängste mit den erwähnten Werten. Wenn diese Werte als bestimmend für die SP-Politik ausgegeben werden, so wird implizit unterstellt, dass Personen, die eine andere Politik verfolgen, gegen diese Werte sind. Diese Annahme ist, wie eigentlich allen klar sein dürfte, nur schwer aufrecht zu erhalten. Ich habe zumindest noch keine bürgerliche Politikerin getroffen, die gegen Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit ist.

Diese Tatsache ist auch Ursula und ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern in der Grundwertedebatte bekannt. In einer Zeit, welche durch eine Vielfalt von Möglichkeiten, durch Oberflächlichkeit und Unsicherheit gekennzeichnet ist, soll die Diskussion über Grundwerte dazu führen, dass diesen zu Worthülsen verkommenen Begriffen neues Leben eingeflösst wird. Ein breiter Konsens über den Inhalt dieser Werte soll der Partei zu einer gut abgestützten und transparenten politischen Praxis verhelfen.

Dagegen ist wenig einzuwenden. Die Initiantinnen der Diskussion gehen damit aber ein grosses Wagnis ein. Meiner Meinung nach kann ein solches Unterfangen nur gelingen, wenn die beteiligten Personen bereit sind, eine Zeit kollektiv erlebter Unsicherheit durchzustehen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Diskussion in eine Kakophonie unterschiedlicher Ansichten ausartet, einem Gewirr von Meinungen, welches nie mehr unter einen Hut gebracht werden kann. Ich frage mich, ob die Urheber der Debatte sich den bevorstehenden Gefahren bewusst sind.

Die SP macht gegenwärtig am meisten Schlagzeilen dadurch, dass sie keine macht. Die geringen Präsenz der Partei in den Medien war ein gewichtiger Punkt in der Diskussion am Grillabend. Neben vertrauter Medienkritik und den gängigen Klagen über die gegnerischen PR-Kampagnen wurde kritisch vermerkt, dass die SP gegenwärtig zu wenig lösungsorientierte Politik betreibt. Wo eine Partei etwas bewegen kann, so die Argumentation, wo sie flexibel und unorthodox Lösungen anbietet, wird sie Widerhall finden und Aufmerksamkeit erregen ganz unabhängig davon, wie viel Geld sie in PR-Kampagnen verbuttern kann. Ursula widersprach energisch. Die SP hat, so führte sie aus, viel konzeptionelle Arbeit geleistet und zu einer ganzen Reihe von brennenden Problemen Lösungsvorschläge erarbeitet, bloss werden diese nicht wahrgenommen.

Meine Meinung ist, dass Lösungen, die in Schubladen verstauben, keine sind. Alle Parteien haben jederzeit zu allem eine Lösung parat. In diesem Punkt Unterscheiden sie sich in nichts von einem Stammtisch. Lösungsvorschläge sind aber nur dann relevant, wenn sie sich am politisch Machbaren orientieren. In vielen Punkten beharrt die SP auf Vorschlägen, für die gegenwärtig in der Schweiz keine Mehrheiten zu haben sind. In manchen Punkten ist sie Vorstellungen verhaftet (z.B. mit ihren Ideen zu Gerechtigkeit und demokratischem Sozialismus), die überholt sind, in anderen (z.B. der Mutterschaftsversicherung) ist sie der Zeit voraus. In solchen Situationen sollte sich die SP darauf besinnen, entweder mit kleineren Schritten Verbesserungen zu erreichen, oder mit wirklich originellen Vorschlägen die Diskussion zu beleben. Das letzte, was in einer solchen Situation Sinn macht, ist das ewig gleiche Herunterbeten schon längst bekannter Vorschläge.

Ich habe Ursula Koch am Grillabend weniger als neugierige, vielmehr als taktische Zuhörerin erlebt. Ich habe den Eindruck beikommen, dass es Ursula in erster Linie darum geht zu demonstrieren, dass sie auf alle Fragen und Entgegnungen eine Antwort hat und weniger darum, zu verstehen, um was es bei den kritischen Einwänden eigentlich geht. Das Gespräch war vom Stil des „Rechthabens“ und nicht des „Verständnishabens“ geprägt. Damit unterscheidet sich Ursula allerdings in keiner Weise von anderen Politikerinnen und Politiker. Es scheint ein Merkmal des öffentlich zelebrierten, arena-tauglichen Politspektakels zu sein, dass keine Antwort unbeantwortet bleiben darf und diejenige Person gewonnen hat, die das letzte Wort behält.

Es wäre allerdings schön gewesen, wenn der verhältnismässig vertraute Kreis eines Grillabends die anwesenden Personen zu weniger routiniertem Diskussionsverhalten stimuliert hätte. Verständnis wecken kann man am besten, wenn man selbst Verständnis zeigt und nicht, indem man Recht hat. In diesem Sinn möchte ich es Ursula Koch gönnen, wenn es ihr gelingen würde, bei kritischen Personen mehr Verständnis zu wecken.

Benno Luthiger (1. September 1999)