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Vom Entstauben von Strategiepapieren beim Packen von Zügelschachteln

Beim Zügeln kann es passieren, dass einem Artikel in die Hände fallen, die man einst mit Bedacht aufgehoben, aber nicht gelesen hatte. Dies könnte dann der Anlass sein, solche Beiträge doch noch zu studieren. Schliesslich möchte man wissen, was man eventuell doch besser fortwirft. Mir passierte dies kürzlich mit einem Artikel von Peter Bodenmann (Hotelier in Brig, wie die NZZ anmerken würde), dem Bodenmannschen Strategiepapier, publiziert in einer WoZ Spezialbeilage im Herbst 1998.

Zwei Sachen sind mir bei der nun erfolgten Lektüre dieses mittlerweile in die Jahre gekommenen Strategiepapiers aufgefallen. Erstens verblüfft mich die grosse Anzahl ad hoc Hypothesen, welche Bodenmann aufstellen muss, um seine Thesen begründen zu können.

Meiner Meinung nach sollte ein Thesenpapier von einer handvoll gut untermauerter und begründeter Annahmen ausgehen, welche quasi die Basis bilden. Diese Annahmen gälte es dann zu kombinieren und zu entfalten. Mit fundierten Regeln des logischen Schlussfolgerns könnte so stufenweise ein ganzes Gebäude an neuen, aber dennoch gesicherten Erkenntnissen abgeleitet werden.

Der Schnelldenker aus Brig versagt sich dieser etwas langfädigen Arbeit. Er hat eine Aussage (z.B. dass die SP sich wieder vermehrt der Umweltpolitik widmen soll), will diese aber nicht einfach im Raum stehen lassen, sondern irgendwie logisch begründen. Er verweist also auf Umfragen, die beispielsweise belegen, dass nach mehreren Jahren der Rezession die sozialen Fragen gegenüber Umweltanliegen an Bedeutung gewonnen haben. Bodenmann folgert nun flink, gerade deshalb müsse und könne sich die SP mit Umweltvorstössen profilieren. Ein Gewerkschaftsmitglied wäre mit dem gleichen Umfrageergebnis wahrscheinlich zum gerade gegenteiligen Schluss gelangt, aber was soll’s. Immerhin beehrt Bodenmann seine Leserschaft mit einer Begründung, andere Politiker geben sich mit blossen Behauptungen und Phrasendrescherei zufrieden.

Der zweite Punkt, welcher mich stutzig gemacht hat, betrifft Bodenmanns Begründung der SP-Strategie betreffend EU-Integration. Diese Angelegenheit hat, wie die in diesem Jahr zur Abstimmung gelangende EU-Initiative zeigt, nichts an Aktualität verloren.

„Die SP Schweiz muss“, so fordert Bodenmann, „alles tun, um den Beitritt zur EU voranzubringen. Nur in diesem relevanten Raum lassen sich zusammen mit der europäischen Linken, zusammen mit den Gewerkschaften und Umweltbewegungen zentrale Fragen regulieren, soziale und ökologische Standards durchsetzen.“ Dieses Postulat kommt harmlos daher, enthält aber ein Demokratieverständnis, das mir sauer aufstösst und welches bezüglich der EU-Perspektive schlimmes erahnen lässt.

Als erstes gilt es einmal festzuhalten, dass das politische System in der Schweiz der Bevölkerung mehr Mitspracherecht zugesteht als alle anderen Staatsformen in Europa. Das grosse Mass an direkter Demokratie zwingt die Schweizerische Politik zu grosser Volksnähe. Wenn nun Bodenmann seine Standards, und seien sie noch so gutgemeint, durchsetzen will, so stellt sich die Frage, gegen wen er diese durchsetzen will, und warum er zu diesem Zweck die EU zur Hilfe ziehen möchte. Ich kann mir das nur so erklären, dass Bodenmann auf stabile Linksregierungen in den EU-Ländern hofft, die es ihm erlauben, über den Umweg über die EU zu Gesetzen zu kommen, welche er mittels Volks- und anderen Initiativen in der Schweiz nicht erreichen würde.

Ich bin der EU-Integration gegenüber positiv eingestellt. Mich fasziniert die Vorstellung, Grenzen fallen zu sehen. Ich erkenne aber, dass mit einer EU-Integration der für die Schweizer Wirtschaft wichtige Effekt der Zinsinsel gefährdet sein könnte. Weiter sehe ich, dass bei einer Integration gravierende konstitutionelle Probleme für das direkt-demokratische System in der Schweiz entstehen. Die EU bietet offensichtlich Vor- und Nachteile, die man ehrlich diskutieren und gegeneinander abwägen muss.

Einer der schlechtesten Gründe für einen EU-Beitritt, dies ist meine feste Überzeugung, ist eine Integration, weil man so Gesetze gegen die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung durchboxen kann.

Erstens finde ich dies ein schauderhaftes Demokratieverständnis und zweitens möchte ich gar nicht erleben, wie rechtsbürgerliche Kreise ihre Vorstellungen mit Hilfe der EU durchsetzen.

Soweit zum Rückblick, ansonsten wünsche ich allen Leserinnen und Leser ein gutes Jahr bzw. denjenigen, welche über einen längeren Atem verfügen, ein gutes Jahrtausend.

Benno Luthiger (28. Januar 2001)