Navigation


RSS: Artikel / Kommentare



Antwort auf die Kritik am Artikel „Politik am Grill“

Liebe V.

Ich habe den Eindruck, meine Berichterstattung über den Grillanlass mit Ursula Koch habe Dich verärgert. Es gelingt mir allerdings nicht recht nachzuvollziehen, was genau Grund Deiner Verärgerung ist.

Du kreidest mir an, ich hätte in meinem Artikel statt Informationen Floskeln geboten. Diesen Vorwurf finde ich nicht angebracht. Wohl habe ich keine Berichterstattung geboten, wie sie z.B. die NZZ über eine Ratsdebatte liefert (die ja üblicherweise, ohne Schuld der NZZ, eine reichhaltige Floskelsammlung ist). Ich habe statt dessen die Statements von Ursula stark reduziert wiedergegeben (Neoliberalismus-Kritik, Medienschelte) und diesen Äusserungen die kritischen Entgegnungen der Teilnehmerinnen sowie meine weiterführenden Überlegungen gegenübergestellt. Ich habe diese Darstellung gewählt, weil Ursula an diesem Abend keine neuen Inhalte geboten hat, sondern sich in ihren Ausführungen mit ihren gemeinhin bekannten Ansichten zufrieden gegeben hat. Hätte ich mehr Originalton Ursula rapportiert, wäre der Bericht so herausgekommen, wie Du es mir ankreidest: floskelhaft.

Meine Überlegungen zu Marktkontrolle, Grundwerten etc. dagegen sind eigens in der Auseinandersetzung mit der Grilldiskussion entstanden. Du kannst sie in dieser Form weder in einem Lehrbuch, noch in einer Zeitschrift nachlesen, sie widerspiegeln ganz authentisch meine persönliche Meinung. Du kannst mir vorwerfen, zu akademisch oder zu abstrakt zu sein. Meine Betrachtungen aber als floskelhaft zu titulieren, zeugt nicht gerade von Wertschätzung und Einfühlungsvermögen gegenüber meiner Leistung.

Weiter beschuldigst Du mich, dass ich in meinem Artikel Ursula heruntermache. Auch hier muss ich widersprechen. Es war weder meine Absicht, dies zu tun, noch sehe ich eine Formulierungen von mir, welche diesen Vorwurf rechtfertigen würden. Klassische Mittel, eine Person in einem Artikel schlecht aussehen zu lassen, sind z.B. die Wahl herabmindernder Adjektive im Zusammenhang mit der Person oder das Arbeiten mit Unterstellungen. Ich kenne diese Mittel und ihr Einsatz widerspricht absolut meiner Vorstellung, wie zivilisierte Menschen miteinander umgehen dürfen. Ich lasse mir aber mein Recht auf Kritik nicht nehmen, unabhängig davon, wie populär und legitimiert die Person ist, die ich kritisiere. Und ich möchte nachdrücklich darauf hinweisen, dass ernsthafte Kritik immer ein gewisses Mass an Wertschätzung voraussetzt. Personen, die ich nicht ernst nehme, ignoriere ich.

Der Ton meiner Berichterstattung war sicherlich genährt von einem Unmut, den ich auch bei anderen Teilnehmerinnen an diesem Abend wahrgenommen habe. Ich habe mich geärgert, weil ich nicht das Gefühl hatte, von Ursula ernst genommen zu werden. Ich bin der Ansicht, es macht einen Unterschied, ob Ursula in einer Arenasendung oder an einem Grillanlass auftritt. Ich kann es verstehen, wenn Ursula in einer Fernsehsendung professionell und kaltblütig auftritt, heikle Fragen grosszügig übergeht und einfache, verständliche Botschaften nachdrücklich in Szene setzt, auch wenn sie im Moment nicht gefragt sind. Wenn aber das gleiche Verhalten in einem viel persönlicheren Rahmen reproduziert wird, so stört mich das. Ich bin der Überzeugung, Ursula könnte durchaus von unserer Kritik profitieren. Wir haben rechtschaffen unsere Erfahrungen gemacht und aufbauend auf diesen unsere Meinung gebildet. Unabhängig davon, welche Meinung richtig ist (wenn es so etwas überhaupt gibt), eine abweichende Meinung ist immer ein Hinweis für eine alternative Ansicht. Eine Person, die alternative Ansichten kennt, die in Alternativen denken kann, verfügt über mehr Handlungsspielraum als eine Person, welche von vornherein alle Alternativen abweist. Statt unsere Kritik an sich heranzulassen, mit uns die Vor- und Nachteile der verschiedenen Möglichkeiten zu erwägen, auch ein Stück Unsicherheit fühlen und uns gerade dadurch neues Vertrauen finden zu lassen, hat Ursula uns abblitzen lassen. Damit kann sie nicht mit meinem Beifall rechnen.

Benno Luthiger (1. Dez. 1999)