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Gesellschaftlich notwendige Arbeit?

Kürzlich hatte ich Gelegenheit, mit einer Kollegin über die Vor- und Nachteile eines garantierten Mindesteinkommens (GME) zu sprechen. Ich bin ein grosser Anhänger einer solchen Institution, sehe ich doch darin einen neuen Gesellschaftsvertrag verwirklicht. Mit einem GME, mit der garantierten Zahlung eines bestimmten Betrags pro Monat, postuliert die Gesellschaft, dass sie unter allen Umständen für die Existenz jedes ihrer Mitglieder aufkommen will, unabhängig, was diese Mitglieder gerade leisten, wie produktiv oder kreativ sie sind. Meine Gesprächspartnerin hat die GME-Diskussion innerhalb der SP anfangs der 90er Jahre mitgemacht. Aufgrund dieser Erfahrung ist sie negativ eingestellt gegenüber einer solchen Einrichtung. In ihrer Argumentation verwendet sie eine feministische Begründung. Vorrangiges Ziel sei es, unbezahlte Arbeit, welche gesellschaftlich notwendig ist, sichtbar zu machen. Der grösste Teil der Arbeit, welcher von Frauen ausgeübt werde, bestehe aus solcher Arbeit. Die Einführung eines GMEs lasse diese Arbeit weiterhin unsichtbar, widerspreche somit feministischen Anliegen.

Diese Erklärung war mir Anlass, über den Begriff „gesellschaftlich notwendige Arbeit“ nachzudenken. Was ist gemeint, wenn von gesellschaftlich notwendiger Arbeit gesprochen wird? In diesem Begriff schwingt die Anschauung mit, dass es Arbeiten gibt, welche für das Überleben der Gesellschaft notwendig sind. Was bedeutet aber „Überleben der Gesellschaft“? Oder anders gefragt: Kann eine Gesellschaft sterben? Entweder stirbt eine Gesellschaft, wenn der letzte Mensch gestorben ist, oder sie stirbt in jedem Moment, in welchem sie sich verändert. Vom Sterben einer Gesellschaft zu sprechen macht wenig Sinn.

Was mich interessiert ist das Überleben von (bestimmten) Menschen. Die Gesellschaft als solche ist mir zu abstrakt, um mich allzu stark um sie kümmern zu können. Eine wesentliche Voraussetzung für das Überleben von Menschen (zumindest in komplexen Gesellschaften) ist die Existenz von Institutionen. Das Überleben der Menschen setzt somit in gewisser Weise das Überleben von Institutionen voraus, was nicht heisst, dass Institutionen unantastbar sein sollen. Eine Institution darf aber nicht ersatzlos gestrichen werden, sondern ist so lange beizubehalten, bis sie durch eine neue, den veränderten Umständen besser angepasste ersetzt werden kann.

Ich kann die Frage aber auch drehen und mich auf den Aspekt des Sichtbarmachens konzentrieren. Gibt es eine einleuchtende Motivation hinter der Forderung nach Sichtbarmachung gewisser, als gesellschaftlich notwendig bezeichneter Arbeiten gibt. Wann ist eine Arbeit sichtbar? Geht es um eine monetäre Abgeltung oder um die Wertschätzung? Ist letzteres der Fall, so ist die Gesellschaft der falsche Adressat für eine solche Forderung. Es gibt keine Instanz in der Gesellschaft, die Wertschätzung erbringen könnte. Wertschätzung ist eine Handlung, die sich gänzlich im sozialen Bereich abspielt. Wertschätzung ist ein Aspekt des sozialen Austauschs. Sie kommt in Handlungen der Personen zum Ausdruck, welche mit der Person, die Wertschätzung sucht, in Beziehung stehen.

Falls es um eine monetäre Abgeltung geht, so stellt sich die Frage nach der Art des Produkts der Arbeit. Wird ein privates Gut erzeugt, so ist der Markt die geeignete Instanz, diese Arbeit monetär zu bewerten. Wird mit der geleisteten Arbeit ein öffentliches Gut geschaffen, so kann die Gesellschaft mit einer Entlohnung einen selektiven Anreiz schaffen, damit diese Leistung erbracht wird. Die Legitimation für eine solche Handlung ist dann aber nicht eine wie auch immer geartete gesellschaftliche Notwendigkeit, denn die Gesellschaft ist nicht gefährdet, wenn die besagte Leistung nicht erbracht wird. Der Grund für eine Abgeltung einer solchen Arbeit ist weniger dramatisch, aber nicht weniger sinnvoll. Die geleistete Arbeit produziert ein öffentliches Gut und steigert damit den gesellschaftlichen Wohlstand. Mit geeigneten selektiven Anreizen kann sichergestellt werden, dass solche Arbeiten auch in Zukunft geleistet werden.

Im konkreten Fall kann eine bestimmte Arbeit gleichzeitig auf den verschiedensten Ebenen Resultate bewirken, kann zur gleichen Zeit sowohl ein privates wie auch ein öffentliches Gut erzeugen. Wenn es wahrscheinlich ist, dass eine gewisse Arbeit geleistet wird, unabhängig davon, ob zusätzlich ein selektiver Anreiz gesetzt wird (weil z.B. die Arbeit als solche schon genügen Befriedigung bringt), so besteht wenig Anlass für die Gesellschaft, weitere Anreize zu setzen. Die Herstellung eines öffentlichen Guts alleine ist noch kein hinreichender Grund, diese Leistung gesellschaftlich auch zu entlohnen. Das Setzen von selektiven Anreizen verursacht der Gesellschaft Kosten. Diese Kosten sind nur so lange zu rechtfertigen, wie der Mehrnutzen, welcher durch die selektiven Anreize induziert wird, diese Kosten übersteigt.

Meine Schlussfolgerung ist somit, dass es wenig Sinn macht, über gesellschaftlich notwendige Arbeit zu diskutieren. Ein solcher Begriff dramatisiert eine Diskussion, wo Nüchternheit angebracht wäre. Es gibt zweifellos Arbeiten, die den gesellschaftlichen Wohlstand steigern und bei welchen mit monetären Anreizen sichergestellt werden kann, dass sie geleistet werden. Welche Arbeiten genau unter diese Kategorie fallen, ist im Einzelnen zu untersuchen. Ob das Geschlecht der arbeitleistenden Person ein hinreichendes Kriterium für die Einschätzung solcher Arbeiten ist, wage ich zu bezweifeln.

Benno Luthiger (1. Dez. 1999)